INSZENIERUNGEN IM RAUM AUSSTELLUNGSGESTALTUNG MARKENWELTEN FILM- & BÜHNENARCHITEKTUR NEUE WELTEN
Submit a PLOT
PLOT
GO

Interviews

PAMELA C. SCORZIN ÜBER PETER WEIBEL

POSTED 04.11.2019
PICTURE
PICTURE 1
 
PICTURE 2
 

„Peter Weibel scheint in Allem und Jedem immer einen Schritt voraus zu sein. Seine Entdeckerfreude und sein Erkenntnisdrang, seine Schaffenskraft und sein Kommunikationswille erscheinen grenzenlos.“

 

Peter Weibel wird 75. Der international bedeutende Medien- und Konzeptkünstler hat eine beachtliche Karriere hinter sich und ist mit seinen Ideen noch lange nicht am Ende: Bis Dezember 2020 läuft noch sein bereits verlängerter Vertrag als künstlerischer und wissenschaftlicher Vorstand des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) Karlsruhe. Was danach passiert, ist offen – er selbst würde aber gerne noch weitermachen! Seit 1999 prägt er die Institution, hat mit bahnbrechenden Werken entscheidende Entwicklungen in der Kunst des ausgehenden 20. und 21. Jahrhunderts vorweggenommen und gängige Vorstellungen radikal in Frage gestellt. Vor diesem Hintergrund zeigt das ZKM mit der Ausstellung „respektive Peter Weibel“ nun erstmalig einen Überblick über das Gesamtwerk des österreichischen Impulsgebers und gibt einen Einblick in die Entfaltung seines künstlerischen Schaffens von der Wahrnehmungskritik über die Sprachkritik und Medienkritik bis hin zur Wirklichkeitskritik.

Das festliche Symposium zur Eröffnung war dabei von Grußworten, Vorträgen und Interventionen bekannter Künstler, Philosophen, Kuratoren, Wissenschaftler, Architekten, Schriftsteller und Leiter internationaler Institutionen geprägt – darunter Pamela C. Scorzin. Die Kunstwissenschaftlerin hatte das Glück, Peter Weibel erstmals 1999 für das KÜNSTLER-Lexikon zu interviewen. Seitdem hat sie (fast) alle seine Ausstellungen interessiert verfolgt und ist mit ihm über all die Jahre hinweg im intensiven Austausch über Kunst und Kultur geblieben. Mit uns sprach die Kritikerin und Professorin für Kunstwissenschaft und Visuelle Kultur am Fachbereich Design der FH Dortmund über den großen Respekt, den sie diesem Ausnahmekünstler und -kurator zollt.

 


Die Fragen stellte Janina Poesch.

 

Pamela C. Scorzin, Sie bezeichnen Peter Weibel als Polyperformer. Was verstehen Sie darunter und was genau schätzen Sie an seinem Schaffen?

Obwohl, oder gerade weil Peter Weibels Hauptinteresse immer den klassischen und neuen Medien gegolten hat, steht doch auch der Körper des Künstlers im Zentrum seines langjährigen künstlerischen Wirkens. Theoretisch wie praktisch bildet die Analyse der Relation von Körper, Raum und Zeit dabei ein Hauptthema in seinen Arbeiten. Performative Taktiken und selbstinszenierende Strategien durchziehen zudem seine respektable Karriere als „Polyartist im Multiversum der Künste“, um gleich auch auf den bekannten „Weibel-Sprech“ hinzuweisen, der natürlich nur ihm tonal am besten gelingt …

Die Retrospektive von Peter Weibel in Karlsruhe beweist daher vor allem eins: Die bislang kaum gezeigten – weil sowohl vom internationalen Kunstmarkt wie auch von der -kritik bislang relativ ignorierten – konzeptuellen Medienwerke von Peter Weibel besitzen keine (kommerzielle) Warenförmigkeit: Sie sind zwar als autonome Kunstwerke ausstellbar, aber dennoch zugleich eng mit der Person des Künstlers und Kritikers verbunden. Der Körper ist für den Polyperformer Peter Weibel offensichtlich nicht nur lediglich ein Ausdrucksmittel, sondern auch das allererste Medium schlechthin, respektive primäre Material. Umso mehr frappiert dann, dass viele seiner Arbeiten sich gleichzeitig um die Erweiterung und Überwindung der beschränkten menschlichen Physis drehen. Als zentrale Themen kehren daher Externalisierung, Exteriorisierung und Ekstasierung immer wieder.

Mediale Prothesen und technische Apparate sind dafür von Anfang an Bestandteile seiner szenischen Performances, beispielsweise Schreibmaschine, Magnetophon, Fotoapparat, Film- und Videokamera, Projektor, Megaphon oder Mikrophon. Ob in Realpräsenz oder delegiert in Medienpräsenz, gilt es obsessiv-ekstatisch mit dem Körper zu performen, um sich gleichzeitig von ihm zu befreien.

 

Peter Weibel hat eine sehr umfangreiche Vita – von den Anfängen bei den legendären Wiener Aktionisten bis hin zur unmittelbaren Gegenwart, in der er als inzwischen vielfach geehrter Hochschulprofessor und langjährig erfolgreicher Leiter des ZKM mit internationaler Strahlkraft wirkt. Welche seiner Schaffensetappen würden Sie besonders hervorheben?

Seit mehr als einem halben Jahrhundert tritt der österreichische Künstler in Selbstbildnissen und Porträts, Videos und Filmen, Installationen und Aktionen im öffentlichen Raum auch als höchst leidenschaftlicher Polyperformer in Erscheinung, der sein Publikum als rebellischer Akteur dabei immer wieder neu entflammt, respektive intellektuell befeuert. Die Baseline des alten Doors-Hits „Light my Fire“ scheint Peter Weibel in den 1970er-Jahren zu konzeptuellen Foto-Performances mit der österreichischen Künstlerin und Partnerin Susanne Widl gleich in mehrfachem Sinne inspiriert zu haben …

Unter den Bedingungen des medialen Zeitalters hat sein feurig-prometheischer Geist seit den 1960er-Jahren dabei ein höchst umfangreiches und vielfältiges Gesamtwerk geschaffen, das künstlerisch-gestalterische Kreativität und Kunst konsequent als optional-offenes Handlungsfeld und größeres gesellschaftliches Netzwerk zu denken wagt, und das dafür stets auch eines agilen Agenten und aktiven Akteurs bedarf. Es geht dem Künstler offensichtlich stets um das Entzünden von Denkprozessen und letztlich Erkenntnisgewinn. Ausgehend von semiotischen und linguistischen Überlegungen, die unter anderem die Interdependenz von Wirklichkeit und Zeichenrealität oder die Synthese von Biosphäre mit der Infosphäre diskutieren, entwickelte Peter Weibel dafür eine singuläre künstlerische Meta-Sprache, die ihn Mitte der 1960er-Jahre von der experimentellen Literatur auch schnell zur (gesellschaftspolitischen) Performancekunst geführt hat. Verglichen mit dem gegenwärtigen Hype um die Kunst der Performance in den verschiedensten Disziplinen der Kultur, von der bildenden Kunst über Tanz und Theater bis hin zu Social Media, Politik und Popkultur, sollten wir uns vielleicht nochmals in Erinnerung rufen, dass die Hinwendung zu dieser Praxis in den 1960er- und 1970er-Jahren eher als rebellische Opposition und als revolutionären „Ausstieg aus der Kunst“ verstanden werden muss – jedoch freilich immer unter Beibehaltung der Referenz zum etablierten Kunstsystem. In seinen szenisch-performativen Aktionen vor realem wie medialem Publikum untersuchte Peter Weibel nicht nur die „Medien“ Körper und Sprache, sondern gerade wiederum auch deren Expansionen in moderne Kommunikationstechniken wie beispielsweise Film, Video, Tonband und interaktive elektronische, später dann auch digitale Umgebungen. Kritisch, und für heute überaus hellsichtig, analysierte, reflektierte und dekonstruierte Peter Weibel damals schon ihre Ontologie und ihre medienspezifischen Charakteristika für die Konstruktion und Fabrikation von Wirklichkeit. Oftmals bediente er sich dafür paradoxer wie plakativer Umkehrungen bzw. frappierender Metalepsis-Stunts, die zunächst zum Staunen verführen, dann aber über die Sinne die Kognition erreichen.

 

Die epistemische Funktion der Kunst sowie Diskurstheorie scheinen Vorrang vor jedweder Ästhetik im Weibel’schen Werk zu haben, weshalb auch das per se Performative, das Provisorisch-Modellhafte, das Virtuell-Variable und das Konzeptuell-Demonstrative oder Viable die mannigfaltigen Kunstpraktiken von Peter Weibel kennzeichnen. Neben den berühmt-berüchtigten Aktionen mit Vertretern der Wiener Gruppe und des Wiener Aktionismus – dem er wohl das Label gegeben hat und als deren Chronist er fungierte – sowie einer Reihe explosiver „Anschläge“ (dokumentiert in Foto-Performances), erprobte Peter Weibel ab 1966 zusammen mit unter anderem Valie Export, Hans Scheugl und Ernst Schmidt Jr. ein „erweitertes Kino“, das die ideologischen und technologischen Bedingungen filmischer Darstellung systematisch analysieren und anschaulich dekonstruieren sollte, indem es mit Materialien und Menschen im Realraum hypostasiert wurde. Kopflastige Theorie wurde dabei aber auch anschaulich in eine sensualistische Szenografie übersetzt – wie 1968 beispielsweise in „Nivea“, die 2000 nochmals im ZKM re-enacted/re-inszeniert wurde.

Mit Weibels frühen Fernsehaktionen, den „teleaktionen“, die das Österreichische Fernsehen (ORF) 1972 im Rahmen der Sendung „Impulse“ ausstrahlte, überschreitet der Poet und Medienkünstler danach als rebellischer und provokativer Performer wiederholt die Grenzen des Betriebssystems Kunst. Experimentell untersuchte er die nunmehr leicht verfügbare Videotechnik in ihrer künstlerisch-gestalterischen Anwendung im damaligen Massenmedium Fernsehen. In den letzten Jahren tummelt sich Peter Weibel außerdem mit subversiv-ironischen bis konzeptuell-performativen Videoclips auch auf YouTube, die eine andere Form der zeitgenössischen Kunstkritik bilden, zum Beispiel am kürzlichen Boom der „Crapstraction“. Die Jüngeren der Millenial-Generation werden jetzt vielleicht fragen, ob der legendäre Performer und begnadete Selbstdarsteller Peter Weibel vielleicht auch schon das Selfie auf Instagram mit Filtern dekonstruiert und hypostasiert hat? Er hat es leider wohl Cindy Sherman überlassen, die er als Kurator für Konzeptuelle Fotografie schon früh entdeckt und ausgestellt hatte.

 

Wäre das aber alles nicht schon an medialem Auftrittswillen genug, wendete sich Peter Weibel neben der Schauspielerei auch noch der Musik und dem Sound zu: 1978 zunächst der Austria Punk- und Rockmusik, etwas später dann auch der elektronischen (Medien-)Oper. Zusammen mit Loys Egg gründete er die Band „Hotel Morphila Orchester“, der damals – so der Rumor – auch der legendäre Falco in Wien zu Füßen gelegen haben soll. Mit Punkrock-Songs wie „Sex in der Stadt“ und „Dead in the Head“ punktete er aber nicht nur in der Szene, sondern experimentierte gleichzeitig auch mit extremen musikalischen Performances – lange vor Rammstein. „Dead in his Head“ war Peter Weibel freilich nie – die Musik-Video-Performanz tut jedoch bis heute immer noch beim Betrachten weh, ob der vermeintlichen Selbstgeißelung von Peter Weibel vor Publikum mit dem Mikrophon. Drastische, nahezu selbstmasochistische Selbstverletzungen oder der riskante volle Körpereinsatz gingen allerdings schon in verschiedenen Foto-Performances voran – beispielsweise für die Hautgedichte seines „Codex Cutis“ (1971/2014). Erinnert sei hier außerdem noch an das Verbrennen der Hand bei seiner „Brandrede“ im Hörsaal 1 der Wiener Universität während der Aktion „Kunst und Revolution“ (1968), ferner an den gefährlichen Aderlass in der teleaktion „Zeitblut“ (1972) oder an das schmerzhafte Einbetonieren der Sprechzunge in einer Foto-Aktion von 1973.

 

Ein Jahrzehnt später, stets im Gleichschritt mit den medientechnologischen Entwicklungen, für die er als Gründer und Leiter des Instituts für Neue Medien in Frankfurt am Main auf dem weiten Feld der bildenden Künste nicht ohne gewissen Widerstand – insbesondere der Maler- und Bildhauerkollegen – international auch zum maßgeblichen Schrittgeber wurde, entwarf, konzipierte und realisierte Peter Weibel frühe interaktive, computerbasierte Installationen, mit denen er wiederum das Verhältnis von Medien und Wirklichkeitskonstruktion, Wirklichkeit und Zeichenrealität thematisiert und heutige Entwicklungen in hybriden Realitäten wie VR/AR konzeptuell vorweg genommen hat.

In zahlreichen Vorträgen, Artikeln und Büchern publiziert Peter Weibel als „uomo universale“ der „Renaissance 2.0“ ferner inzwischen seit Jahrzehnten Maßgebliches zur zeitgenössischen Kunst, Mediengeschichte, Medientheorie, zu Film, Fotografie, Videokunst und Philosophie. Das manische Forschen und unermüdliche Schreiben findet sich dabei als Ausdruck in Porträts wieder, die Peter Weibel als produktiven Denker inmitten chaotischer Bücherlandschaften und imposanten Bibliotheken zeigen.

Als Wissenschaftler, Theoretiker, Kritiker, Kurator und Akteur setzt sich Peter Weibel weiter für eine bildende Kunst und eine Kunstgeschichtsschreibung ein, die Technikgeschichte und Wissenschaftsgeschichte berücksichtigt, Theorie und Praxis verschränkt. Und während alle noch über Globalisierung und Digitalisierung diskutieren, hat Peter Weibel längst im ZKM die algorithmische Revolution ausgerufen und artikuliert seit langem sein Interesse für die Quantentechnologie und künstliche Intelligenz.

 

Inwiefern ist es ihm gelungen, die algorithmische Revolution auszurufen? Was genau meinen Sie damit?

Mit der Ausstellung „Open Codes. Die Welt als Datenfeld“ hat er zuletzt beispielsweise nicht nur inhaltlich, sondern meines Erachtens auch szenografisch Geschichte geschrieben: Der museale Ausstellungsraum konvergierte hier effektiv mit dem Labor, dem Konferenzraum, der Lounge, dem Co-Working-Space, dem Showroom für Büromöbeldesign sowie der hippen Work-Station, dem sozialen Treffpunkt und spielerischen Mitmachraum. Und Peter Weibel konnte hier immer selbst auch live als Cicerone erlebt werden, der unermüdlich argumentiert: „die medien helfen, die technologische entwicklung zu entdecken und begleiten sie gleichzeitig kritisch. die aufgabe der kunst besteht darin, türen zu öffnen, wo sie keiner sieht. der künstler hält optionale handlungsfelder offen – als kritischer spiegel oder utopisches reservoir. die gesellschaft schafft sich in galerien und museen mit der kunst einen institutionellen rahmen, wo andere produktionsweisen und weltsichten möglich sind. dort sammelt sich kritisches potenzial, mit dem gängige gesellschaftliche institutionen untersucht bzw. transformiert werden.“

Nicht mehr allein die kritische Hinterfragung des modernen Museums selbst steht dabei im Mittelpunkt, sondern es gilt vielmehr durch Transformation und Transgression, seine unerkannten Potenziale zu erloten und somit neue Wirkungsfelder zu erproben. Mit dem szenografischen Konzept dieser Ausstellung wird in der Institution strategisch ein relationales Feld aufgespannt, das auf der Struktur, Organisation und Konfiguration eines flexiblen und interaktiven Netzwerks basiert, in dem dann jeweils temporär Performanzen des Künstlerisch-Gestalterischen stattfinden können. Innerhalb des objektiv-physikalischen Raums wird somit durch performativ-inszenatorische Zeigepraktiken ein jeweils temporärer, prozessual ereignishafter, holistischer Raum in der Funktion einer kreativen Produktionsstätte, eines handelnden Museums, aktualisiert. Auch hier entsteht wiederum ein Turn und Twist von der Repräsentation zur Realität, der für Weibels Performanzen insgesamt überaus charakteristisch ist. Kunst und Kreativität werden nicht nur bloß ausgestellt, sondern vielmehr (demokratisch) ermöglicht und initiiert.

 

Was schätzen Sie an Peter Weibels umfangreichen Schaffen außerdem?

In seiner Funktion und Rolle als engagierter Lehrer an renommierten Kunstuniversitäten und langjähriger Leiter von Institutionen wie der Ars Electronica in Linz, dem Institut für Neue Medien in Frankfurt am Main und nicht zuletzt dem ZKM in Karlsruhe, stimulierte der 1944 in Odessa Geborene die globale Szene der Medienkunst durch viele internationale Konferenzen, Ausstellungen und Publikationen. Als inzwischen mit hohen Ehrungen vielfach ausgezeichneter Medien- und Konzeptkünstler, als vielseitig vernetzter Kurator und weitsichtiger Theoretiker widmete sich Peter Weibel dabei immer auch den klassischen künstlerischen Gattungen wie Malerei und Skulptur. Mit viel Gespür zeigte und schrieb er über junge Künstler ebenso wie über vergessene oder übersehene Protagonisten, oft lange bevor diese vom Kunstmarkt oder den Museen überhaupt (wieder-)entdeckt wurden. Und schon früh arbeitete er an einer Neubeschreibung der Moderne und widmete sich in Ausstellungen der Global Art. Peter Weibel scheint in Allem und Jedem immer einen Schritt voraus zu sein. Seine Entdeckerfreude und sein Erkenntnisdrang, seine Schaffenskraft und sein Kommunikationswille erscheinen grenzenlos – und, um an das am Anfang zitierte Feuer zurück zu kommen, als prometheisch.

Daher möchte ich noch Weibels Aktivitäten als Wissenschaftler, Entwickler und Gründer hervorheben: Seit 2017 ist er Direktor des Peter Weibel Forschungsinstituts für digitale Kulturen an der Universität für angewandte Kunst Wien. Auf der Startseite der dazugehörigen Website des neu gegründeten Instituts findet sich unter dem Titel „Dreidimensionale Notation“ die jüngste interaktive Mixed-Media-Installation, die Peter Weibel in Kooperation mit Christian Loelkes und Adam Slowik entworfen und realisiert hat. Sie war auch im Rahmen der bereits erwähnten epochalen Ausstellung „Open Codes. Die Welt als Datenfeld“ in Karlsruhe zu erleben: Ein dynamischer, interaktiver computerbasierter Alphabet-Raum wurde hier zur spielerischen Challenge für die User: Hantierten sie geschickt mit einem vierfach gewinkelten Metallrohr im Realraum, in dem wie in unseren Smartphones ein Lagemesser integriert war, zeigte ein Screen zeitgleich an der Wand, je nach Position und Lage des Artefakts im dreidimensionalen Raum, seinen zweidimensionalen „Schattenriss“ als digitalen schwarzen Buchstaben an. Buchstabe für Buchstabe konnten so im Ausstellungsraum ganze Botschaften und Nachrichten gesendet werden. Ein Zitat trifft dabei sehr gut den künstlerisch-gestalterischen Anspruch des Projektkonzepts, das modellhaft einem Quantensprung gleicht: „Die Frage, ob es möglich ist, dass der Mensch, der doch ein Produkt der Natur ist, diese überlisten kann, beantworte ich mit einem klaren Ja. Und wenn auch im Rahmen herrschender Naturgesetze eingesperrt, erweitern wir das Universum durch die Entdeckung neuer Naturgesetze. Beispielsweise haben wir gelernt, dass wir nur mit zwei Ziffern (0 und 1) alle Rechenoperationen ausführen können. Wir werden aber entdecken, dass wir, sobald wir das Wort ‚Zahlenraum‘ buchstäblich nehmen, feststellen, dass wir bisher nur auf der zweidimensionalen Fläche zahlenmäßig operiert haben, ebenso wie die Schrift, jetzt bestehend aus 26 Buchstaben und Sonderzeichen, nur auf der zweidimensionalen Fläche kodiert war. Auch hier werden wir neue, im Raum operierende, mit neuen Geräten produzierte und rezipierbare Schriften und Zahlensysteme entwickeln.“

 

So bleibt mir eigentlich nur noch, mit einem von einer künstlichen Intelligenz generierten Anagramm als Orakel diesen Beitrag zu schließen: Peter Weibel, respektive alles ist möglich: „LEB WIE PETER!“ In diesem Sinne: Respekt, lieber Peter Weibel!

 

Pamela C. Scorzin, vielen Dank für das umfassende und sehr spannende Gespräch!


Zur Person

Prof. Dr. Pamela C. Scorzin M.A., ist Kritikerin und Professorin für Kunstwissenschaft und Visuelle Kultur an der Fachhochschule Dortmund. Sie studierte Europäische Kunstgeschichte, Philosophie, Geschichte und Anglistik/Amerikanistik und promovierte 1994 an der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg. 2001 habilitierte sie am Fachbereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt, diverse Professur-Vertretungen folgten. Seit 2008 lehrt sie in Dortmund und ist nebenbei international als freie Kunst-, Design- und Medientheoretikerin tätig.

FACTS

Kontakt:

Pamela C. Scorzin/Fachhochschule Dortmund, Dortmund (DE) > www.fh-dortmund.de/scorzin

Fotos:

ZKM | Zentrum für Kunst und Medien, Karlsruhe (DE) > www.zkm.de