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Interviews

Charlotte Tamschick über 20 Jahre TAMSCHICK MEDIA+SPACE

POSTED 29.06.2015
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„Das Geschichtenerzählen wird in Zukunft eine größere Rolle spielen: Die Besucher werden in die Themen regelrecht eintauchen!“

 

Zwei Jahrzehnte experimentelle mediale Szenografie: Die Berliner von TAMSCHICK MEDIA+SPACE gewähren mit ihrer Publikation „TAMSCHICK MEDIA+SPACE: immersive narrative installations“ anhand von 30 international preisgekrönten Projekten Einblicke in ihre Arbeit und damit in das Können, Inhalte und Objekte mittels medialer Bespielung in dreidimensionale, begehbare, ganzheitliche Raumerlebnisse zu übersetzen und nachhaltige, dramaturgische Erlebnisse zu kreieren. PLOT hat das Erscheinen dieser Monografie zum Anlass genommen, um mit Charlotte Tamschick über die Kunst, Räume medial zu inszenieren, zu sprechen.


Die Fragen stellte Anne Horny.

 

Frau Tamschick, wieso dieses Buch und wieso gerade jetzt?

Schon lange tragen wir den Gedanken, endlich ein eigenes Buch zu machen! Auch wenn in diesem Format die Einzigartigkeit der Projekte, das Immersive und Emotionale nicht vollständig rüberkommt, bietet es dennoch ein haptisches, kompaktes Medium: 30 Projekte der letzten 20 Jahre, die viele noch nicht kennen, kondensiert in einem reich bebilderten Buch, in dem nicht nur die realisierten Inszenierungen gezeigt werden, sondern auch ein Blick hinter die Kulissen sowie in den Arbeitsprozess gewährt wird und durch sehr bereichernde persönliche Statements und Beiträge von Auftraggebern, Partnern und langjährigen Kollegen und wichtigen Wegbereitern der Begriff „Mediale Szenografie“ näher gebracht werden kann und soll. Wir hatten den Wunsch, unsere medialen Projekte in sehr analoger Form offenzulegen und die inhaltliche und gestalterische Tiefe dahinter zu vermitteln. TAMSCHICK MEDIA+SPACE: immersive narrative installations ist also eher eine Art Bilderbuch: Die Projekte werden nur knapp beschrieben. Wir erzählen Geschichten im Raum, diese sollten natürlich am besten vor Ort selbst erlebt werden. Außerdem ist das Buch auch ein Geschenk an uns selbst – eine Belohnung für unsere Arbeit der letzten 20 Jahre.

 

Hat sich denn in 20 Jahren TAMSCHICK MEDIA+SPACE etwas in der Arbeits- bzw. Herangehensweise verändert?

Damals wie heute liegt unsere Leidenschaft in der Verbindung von audiovisuellen Medien und dem Raum. Dabei benutzen wir szenografische Mittel wie filmische Bilder, Sound, Interaktion und Partizipation. Von der Fläche des filmischen Bilds ausgehend, haben wir uns mit unseren Projekten immer weiter in den Raum hineingetastet: vom damals noch zweidimensionalen, flachen Hintergrundfilm beispielsweise für eine Aufführung Carl Orffs Carmina Burana bis zu interaktiven, begehbaren Environments in Museen und Ausstellungen heute, welche die Besucher vollständig in ein narratives, mediales Environment versetzen. Räume sind abgegrenzte Orte, definierte Flächen – diese Grenzen der Architektur mit medialen Mitteln zu überwinden, Räume zu öffnen, zu schließen, mit Inhalten zu füllen oder zu leeren, sowie interaktiv einzugreifen in statische Strukturen ist das, was uns im Lauf der Zeit beschäftigt und fasziniert hat. Gerade in Museen und Ausstellungen benötigen wir heutzutage neue Formate, um den Ansprüchen der Besucher gerecht zu werden. Statt langer Texttafeln lassen wir Objekte und Inhalte medial selbst zu Wort kommen oder beziehen die Besucher in die Inszenierung direkt mit ein. Damit wird der Museumsbesuch emotional aufgeladen und zu einem nachhaltigen Erlebnis. Ähnlich funktioniert dies mit Produkten und Marken und deren Geschichten. Die modernen Medien sind nicht statisch, sie verändern sich in rasantem Tempo. Raum und Architektur sind allerdings etwas Statisches und die Kombination beider Elemente bietet noch enorme inszenatorische Möglichkeiten – wir haben längst nicht alle ausgeschöpft! In den Anfangsjahren realisierten wir die Projekte noch überwiegend in Deutschland, heute sind wir längst weltweit tätig: unter anderem in Asien, Arabien und neben Deutschland in vielen anderen europäischen Ländern. Auch die Technik hat sich natürlich enorm weiterentwickelt. Wir versuchen immer aktuelle Tendenzen und Strömungen zu kennen und uns anzueignen. Subtile mediale Eingriffe, wie beispielsweise Projektionen direkt auf die geöffneten Hände der Besucher im Schweizer Pavillon auf der Weltausstellung in Korea oder ein dreidimensionales Stadtmodell im Stadtmuseum Waiblingen, das durch Licht und Sound emotional und unterhaltsam die Stadtgeschichte vermittelt sind jedoch mindestens genauso attraktiv, wie hochtechnologische Inszenierungen.

 

In 20 Jahren haben Sie über 30 herausragende Projekte realisieren können. Kann es da so eine Art persönliches Lieblingsprojekt geben?

Unsere musealen Projekte liegen mir, mit meinem kunstwissenschaftlichen Background, natürlich besonders am Herzen: Schwer zu vermittelnde Inhalte gut aufzubereiten sowie gemeinsam mit einem Team spezialisierter Wissenschaftler Konzepte für große und kleine Weltausstellungen oder internationale Museen zu erarbeiten, erweitert den eigenen Horizont enorm und bringt einen nicht nur mit sehr abwechslungsreichen Themen, sondern auch mit anderen Kulturen und Denkweisen in Berührung. Das gefällt mir. Als eines meiner Lieblingsprojekte kann ich ein Projekt bezeichnen, das wir 2014 im Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz realisieren durften. Es wurde vom Stuttgarter ATELIER BRÜCKNER entworfen und von uns, gemeinsam mit MKT und focus4, entwickelt. Das sogenannte zeitdynamische Sachsenmodell ist ein innovatives, mediales Ausstellungsformat – eine durch vier Etagen des Museums schwebende Projektionsfläche, die in Form einer mehrteiligen, leuchtend transluzenten Sachsentopografie viele Funktionen erfüllt. In regelmäßigen Abständen wird die mediale Skulptur vertikal durch den Luftraum des Museums bewegt und stellt dabei gleichzeitig eine narrative Klammer und inhaltliche Verbindung der Ausstellungsinhalte auf den einzelnen Etagen dar. Damit ist sie so eine Art Erinnerungsmaschine, die uns auf eine poetische Zeitreise durch 250.000 Jahre Sachsen schickt – ein emotionaler Erzähler, der multidimensional durch Projektionen und Sound Inhalte vermittelt. Die Sachsenskulptur macht neugierig auf die Inhalte im Museum: Sie lockt, verführt und bietet den Besuchern ein partizipatives Erlebnis. An acht um die Sachsenskulptur angeordneten Touchscreens können vertiefende Informationen spielerisch abgerufen und auf das große Sachsenmodell gesendet werden, so dass sich eine permanent verändernde Topografie ergibt – ein „Tableau vivant“ Sachsens. Diese Verbindung von Kinetik, Projektion, Sound, Narration und Partizipation der Besucher ist eine noch nie da gewesene, innovative Inszenierung und war für alle Beteiligten ein Experiment ohne Vorreiter. Und so bestand die größte Herausforderung auch darin, die inhaltliche Dichte in wenigen Minuten dem Publikum zu vermitteln und gemeinsam mit MKT und focus4 die Dynamik und Technik der kinetischen Sachsenkarte mit den filmischen Inhalten zu choreografieren. Auch technisch stellt diese mediale Skulptur eine hohe Komplexität dar. Aktuell haben wir außerdem ein sehr interessantes Projekt in Jerusalem gewonnen und bereiten einen Museums- Workshop mit Franziskanermönchen vor, darauf bin ich auch sehr gespannt.

 

Was denken Sie: Wohin geht der Trend im Bereich der medialen Raumbespielungen?

Meiner Meinung nach wird die Narration, das Geschichtenerzählen, in Zukunft eine noch größere Rolle spielen: Die Besucher werden in die Themen regelrecht eintauchen – zum Beispiel durch begehbare visuelle Hörspiele, wie wir Sie in Trier im Rheinischen Landesmuseum umgesetzt haben oder aktuell im Badischen Landesmuseum in Karlsruhe realisieren. Ich hoffe, dass die Technik immer weiter in den Hintergrund rückt – zumindest optisch – und ich hoffe, dass die Grenze zwischen dem Besucher und der Geschichte immer immaterieller wird. Die neuen Medien sollen helfen, Wissen neu zu vermitteln und die Bestände der Museen, die zu großen Teilen in Depots schlummern, sichtbar und interessant zu machen. Das Rheinische Landesmuseum in Trier ist so ein Fall: Ein Besuch der römischen Gräberstraße, ist für jeden Lateinschüler in der Umgebung Pflicht. In den Grabmalen und Wandreliefs stecken spannende Geschichten – aber diese müssen erst enthüllt werden. Dementsprechend haben wir für die Gräberstraße eine 45 Minuten lange audiovisuelle Bespielung entwickelt, die genau das tut: Sie greift einzelne Figuren heraus und erzählt in bewegten Bildern, Worten und Tönen ihre Geschichte. Die Besucher werden so Teil eines Raumerlebnisses, das inhaltlich von den Grabsteinen ausgeht. Wenn die Vorführung vorbei ist und die Steine wieder schweigen, schauen selbst die Lateinschüler jene mit anderen Augen an. Ich bin der Ansicht, dass neue Medien dafür eingesetzt werden müssen, den Besuchern Kontextwissen zu vermitteln – so wie es auch eine Führung tut. Durch diesen Hintergrund wird dem Publikum das Werkzeug gegeben, sich eigene Gedanken zu machen und sich Fragen zu stellen wie: Warum hängen gerade diese beiden Bilder nebeneinander? Wenn eine solche Reflexion in Gang kommt, dann wird es spannend. Bei TAMSCHICK MEDIA+SPACE versuchen wir das Nicht-Ausstellbare auszustellen und das Nicht-Sichtbare sichtbar zu machen. Wir versuchen etwas zu finden, das sich über andere Mittel nicht darstellen lässt und arbeiten daran, die Dinge selbst zum Sprechen zu bringen, Objekt und Raum zu verdichten und neu erlebbar zu machen. So verändern wir die architektonischen Dimensionen des Raums, manipulieren die Zeit, entführen die Besucher und versuchen sie zu verzaubern.

 

Wenn TAMSCHICK MEDIA+SPACE eine Person wäre, wie würde sich diese in einem Satz beschreiben lassen?

TAMSCHICK MEDIA+SPACE kann gar keine Einzelperson sein, denn schon immer ist TMS ein Team aus motivierten, interdisziplinär arbeitenden Menschen, aus Konzeptionern, Kulturwissenschaftlern, Designern, Innenarchitekten, Betriebswirten, Projektmanagern, Motion-Designern und Regisseuren – eben ein wissbegieriges, motiviertes, experimentierfreudiges, innovatives, an Inhalten und deren gestalterischer Übersetzung interessiertes Team, das sich gemeinsam mit uns – Marc und mir – an noch nie da gewesene Projekte wagt. Der Impuls vor 20 Jahren sowie die treibende Energie und Kreativität stammt jedoch von Marc Tamschick, der aus TAMSCHICK MEDIA+SPACE das gemacht hat, was es heute ist.


Charlotte Tamschick, vielen Dank für das Gespräch!

 

Zur Person

Charlotte Tamschick, Jahrgang 1969, ist seit 1998 als Szenografin tätig. Sie studierte Kunstgeschichte mit Schwerpunkt Rauminstallationen und Medienkunst. Ihre Expertise als Kreativdirektorin und Konzeptentwicklerin gründet sich auf internationaler Agenturerfahrung in den Bereichen Museum, Ausstellung und EXPO. Ab 2007 repräsentierte sie ATELIER BRÜCKNER in Berlin, seit 2009 ist sie Kreativdirektorin und Leiterin der Konzeptabteilung bei TAMSCHICK MEDIA+SPACE. Zudem hat sie seit 2008 Lehraufträge an der TU Berlin und an der HGK Basel inne.

FACTS

Kontakt:

Charlotte Tamschick/TAMSCHICK MEDIA+SPACE, Berlin > www.tamschick.com

Fotos:

01 – Goldlichtstudios, Hamburg > www.goldlichtstudios.de (Portrait)
02 – 09 – TAMSCHICK MEDIA+SPACE