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Ausstellungsgestaltung

David Bowie is – Die Suche nach einem Chamäleon

POSTED 11.01.2016
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David Bowie Ist nicht nur einer der bekanntesten Musiker der letzten vier Jahrzehnte, David Bowie Ist mehr: Seine Rollen – allen voran seine Alter Egos Ziggy Stardust, Aladdin Sane oder Thin White Duke – und die Wahrnehmung ebendieser sind vielfältig und wandeln sich bis heute stetig. Aber wer Ist dieser David Bowie nun tatsächlich? Eine Antwort auf diese Frage zu finden ist schwierig, doch die Kuratoren des Victoria and Albert Museums in London haben sich der Herausforderung gestellt und eine Ausstellung konzipiert, die dem Phänomen David Bowie in all seinen Facetten nachspürt.

von Sabine Marinescu

Es gibt wohl kaum jemanden, der nicht sofort ein Lied im Ohr oder ein Bild vor Augen hat, wenn er den Namen David Bowie hört. Aber so vielfältig und individuell diese sinnlichen Vorstellungen von dem in Großbritannien geborenen Künstler sind, so unterschiedlich sind auch die von ihm generierten Bilder, die im Frühjahr und Sommer 2013 in London gezeigt wurden. Der Titel der Ausstellung ist bewusst gewählt und genauso bewusst in seiner Gegenwartsform gehalten. Denn bei David Bowie Is handelt es sich nicht um eine klassische Retrospektive des berühmten Musikers, sondern vielmehr um eine Auseinandersetzung mit seinem umfassenden schöpferischen Werk, mit seinem Einfluss auf verschiedenste künstlerische und gesellschaftliche Prozesse und nicht zuletzt mit seiner Persönlichkeit. Victoria Broackes, Kuratorin, und Geoffrey Marsh, Direktor der Abteilung Theater und Performance des weltberühmten Museums für Kunstgewerbe und Design konzipierten eine thematisch strukturierte und nicht wie sonst häufig üblich chronologisch angelegte Reise durch die faszinierende Welt des David Bowie. Seine Musik spielte dabei – selbstverständlich – eine wesentliche Rolle und so entwickelten die verantwortlichen Gestalter von 59 Productions und Real Studios eine vielschichtige Ausstellungsgestaltung, bei welcher der Klang eng mit den räumlichen Gegebenheiten und den Exponaten verwoben wurde.

Für ihr thematisch und inhaltlich sortiertes Konzept suchten Broakes und Marsh die gut 300 gezeigten Ausstellungsstücke eigenhändig aus dem Archiv des Künstlers, dessen über 60.000 Stücke umfassende Sammlung von einem eigenen Archivar betreut werden. „Ein seltener Glücksfall“, so Marsh, „denn Rockmusiker bewahren normalerweise nichts auf!“ Filmmaterial Fotografien, Zeichnungen, Texte und eine beachtliche Auswahl an Kostümen fanden so ihren Weg nach London und waren Inspirationsquelle und Basis für die dreidimensionale Gestaltung der Ausstellung. Das interdisziplinäre Team der in London ansässigen Büros von 59 Productions und Real Studios kreierten zunächst eine für die ganze Ausstellung einheitliche Form- und Farbensprache. Geometrisch facettierte Elemente und eine monochrome Farbpalette – von weiß über grau zu schwarz – mit Akzenten in „Ziggy Orange“ bilden die Grundlage für die maßgeschneiderten Sequenzen, in denen sich die unterschiedlichen Themenbereiche präsentieren. Insgesamt 21 Bereiche durchläuft der Besucher – jedoch nicht in einer strikt einzuhaltenden Abfolge. Er kann sich durch die Kaleidoskopartige Anordnung der Inhalte frei bewegen und so einen eigenen Weg zu David Bowie finden. Dennoch entwickelten Mark Grimmer, Art Director von 59 Productions, und Mike Hawkes, Projektleiter der Real Studios, eine durchdachte Choreografie der aufeinanderfolgenden Bereiche.

Um an der richtigen Stelle jedoch auch den richtigen Sound in den eher beengten Räumlichkeiten zu vernehmen und dabei nicht in eine ungeregelte und disharmonische Überlagerung von Klängen und Musik zu geraten, erhalten die Besucher speziell programmierte Audioguide-System von Sennheiser. Nicht nur individuell anwählbare Ausstellungstexte sind hier gespeichert und können jederzeit abgehört werden: Die Besonderheit sind die musikalischen Sationen, die sich in einem abgegrenzten Bereich vor oder um ein Exponat befinden. Betritt der Besucher diesen Hör-Raum werden automatisch Signale an das tragbare Gerät gesandt und in Echtzeit wird die auf die inhaltlichen Themen abgestimmte Musik für jeden einzelnen hörbar.

Die Ausstellung gliedert sich in zwei große Bereiche, die im V&A auch baulich voneinander getrennt sind: Die Gallery 39 und der North Court. So befinden sich in der ersten Hälfte David Bowies frühe Jahre, seine Entwicklung zum Künstler, sein kommerzieller Durchbruch, seine Kollaborationen mit anderen Künstlern und sein kreativer Prozess. Der zweite Teil zeigt Bowie als Darsteller – auf und hinter der Bühne. Doch zunächst betritt der Besucher die Ausstellung über den Eingangsbereich, der sich wie ein konventioneller Ausstellungsraum gestaltet ist und drei Haupt-Stücke zeigt: Ein skulptural anmutendes Bühnenkostüm des Designers Kansai Yamamoto aus dem Jahr 1973, eine Installation aus pyramidenförmig gestapelten Orangen, „Soul City“, von Roelof Louw, die erstmals 1967 aufgebaut wurde und eine Skulptur von Carl André – ein Boden, schachbrettartig auslegt mit Fliesen, über den die Besucher gehen können. Diese Anordnung der drei zunächst sehr unterschiedlich erscheinender Exponate gepaart mit Liedtexten und weiteren kleineren Stücken zeigt gleich zu Beginn den Bezug und die Einflussnahme Bowies auf die Kultur des späten 20. Jahrhunderts.

So eingestimmt bewegt sich der Besucher durch die schier unzähligen Welten eines Künstlers, der nur schwer zu fassen scheint. Der Rundgang beginnt in der Londoner Nachkriegszeit, mit Bowies Geburtsjahr 1947. Hier werden in Vitrinen, Nischen oder Rahmen und mit Hilfe unterschiedlichster Exponaten, das Leben in der Londoner Vorstadt, die Neuerungen in Kunst, Technologie, Musik, Theater und Jugendkultur lebendig und zeichnen die persönlichen Einflüsse auf Bowie bis zu seinem kommerziellen Durchbruch 1969 nach. Unter dem Titel „David Bowie Is making himself up“ werden so auch die ersten Begegnungen des Teenagers David Robert Jones, Bowies Geburtsnamen, mit der damaligen Musik, seinen Idolen und seinen ersten Versuchen als Bandmitglied nachgespürt. In einer fünfseitigen Projektion, die sich an den Innenseiten eines fiktiven Wohnraums zeigt, verwandelt sich Bowie in einem eigens produzierten Film in seine ersten Rollen: einen Musiker, eine Mimen, einen Maler oder Schriftsteller.

Vorbei an einer von Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ inspirierten Szenerie und räumlichen Darstellung des ersten Nummer-Eins-Hits Space Oddity gelangt der Besucher zu einem zentralen Exponat und der ersten Präsentation Bowies als perfekten (Selbst-) Darsteller auf der Bühne. Bis heute ist sein Auftritt bei der englischen Fernsehsendung Top Of The Pops aus dem Jahr 1972 legendär: Die Performance seines Songs „Starman“ spiegelt für viele, vor allem junge, Zuschauer, die sich verändernden gesellschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten und den damit verbundenen Zeitgeist wieder. Es ist nicht nur der Text des Liedes, es ist vor allem Bowies Bühnenpräsenz und sein fast außerirdisches und androgynes Aussehen, das ihn zum Idol vieler Teenager und ihrem Verlangen nach persönlicher sexueller Freiheit und individueller Ausdrucksweise macht. Zentral in einem Spiegelkabinett ist das vom Designer Freddie Burnett speziell für diesen Fernsehauftritt entworfene und von Kubricks Clockwork Orange inspirierte Outfit ausgestellt. So wird nicht nur das Kostüm und die im Hintergrund laufende Aufnahme zigfach gespiegelt – auch der Besucher sieht sich darin, wird von Bowie aufgefordert einzutreten und wird damit Teil der Inszenierung.

In den folgenden Abschnitten kann sich der Besucher weiteren Themengebieten widmen, aber er begegnet vor allem den Inspirationen des Künstlers und seiner inspirierenden Wirkung auf andere. Platten, handschriftlichen Liedtexte und Kostüme, aber auch Bücher und Zeichnungen zeigen die Vielschichtigkeit seiner Interessen, der eigenen Darstellungen und die damit einhergehenden Rollen. Es wird klar, Davis Bowie Ist Musiker, Schauspieler, Künstler, Provokateur, Impulsgeber – und wird es auch noch weiter bleiben. Damit endet der erste Teil der Ausstellung und der Besucher wird zum zweiten inhaltlichen Schwerpunkt geleitet: David Bowie auf unter hinter der Bühne. Musikvideos, weitere Kostüme und die Darstellung seines Aufenthalts 1976-78 in Berlin, lassen seine Einflussnahme auf Musik- und Modestile, in denen sich David Bowie präsentiert hat, deutlich erkennen.

Im Mittelpunkt, inhaltlich ebenso wie gestalterisch und klanglich, stehen hier jedoch die so genannten „Show Moments“. Der Raum ist zwar in drei eigenständige Bereiche gegliedert, aber die Projektionen auf den raumhohen Leinwänden und eine genau abgestimmter Klangteppich führen zu einem immersiven 360° Raumerlebnis. Der Besucher wird hier zum Zuschauer einer gigantischen Show und wird eingehüllt in eine aufwändige Abfolge von Songs, Videos und Liveauftritten Bowies, die den Künstler in vielen seiner Facetten zeigen. Puppen in Original-Bühnenkostümen, die sich auf teilweise umgestürzten Elementen vor den Leinwänden positionieren vervollständigen das Bild eines musikalischen und darstellerischen Chamäleons.

Entlassen wird der Besucher durch den Besuch der letzten Bereiche, die sich deutlich abheben von der vorherigen Show, dennoch das Bild zu vervollständigen versuchen. In klassischer musealer Art und Weise werden hier zunächst eine Vielzahl von Fotografien präsentiert, die – meist von ebenso berühmten Fotografen erstellten – Bilder von Bowies Verwandlungen in seine unterschiedlichen Charaktere zeigen. Desweitern werden in Bildern und Filmen mehr oder weniger berühmte Personen, die sich von seinem Image und seinem Stil haben inspirieren lassen, vorgestellt.

Nach dieser so intensiven Auseinandersetzung mit der Musik, der Arbeit und der Person David Bowie fragt sich der Besucher, sobald er das Museum verlassen hat, dennoch: Wer ist dieser David Bowie tatsächlich? Und auch wenn sich ein (oder mehrerer) Ohrwürmer und alte und neue Bilder im Kopf festgesetzt haben, sicher ist: Niemand kann sich sicher sein, wer David Bowie Ist. Im Gegenteil: neue Fragen stellen sich. Aber genau das macht auch den Reiz und den Erfolg dieser Ausstellung aus, denn vielleicht Ist David Bowie Jeder.

FACTS

Projekt:

David Bowie is, Groningen (NL)

Gestaltung:

studio HB, London (GB) > www.studiohb.co.uk
59 Productions, London (GB) > www.59productions.co.uk
DHA Designs, London (GB) > www.dhadesigns.com
Gareth Fry, London (GB) > www.garethfry.co.uk

Standort:

Victoria and Albert Museum, London: 23.03. bis 11.08.2013 |
Art Gallery of Ontario (AGO), Toronto (CDN): 25.09. bis 27.11.2013 |
Museum of Image and Sound, Sao Paulo (BRA): 2801. bis 21.04.2014 |
Martin-Gropius-Bau, Berlin: Mai bis August 2014
Museum of Contemporary Art, Chicago (USA): September 2014 bis Januar 2015 |
Philharmonie de Paris/ Cité de la Musique, Paris (F): 02.03. bis 31.05.2015 |
Groninger Museum, Groningen (NL): 15.12.2015 bis 13.03.2016 | > www.davidbowie-groningen.nl

Zeitrahmen:

23.03.2013 – 13.03.2016

Fotos:

1 – 5 Stephen Cummiskey
6 – 10 Real Studios, London (GB) > www.realstudios.co.uk