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Ausstellungsgestaltung

VOM GLÜCK VERGESSEN. FÜRSORGERISCHE ZWANGSMASSNAHMEN IN GRAUBÜNDEN, CHUR

POSTED 28.10.2020
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Fremdplatziert, verdingt, entmündigt, in Anstalten versorgt, zwangsadoptiert oder sterilisiert: Bis in die 1970er-Jahre waren in der Schweiz zehntausende Kinder, Jugendliche und Erwachsene von fürsorgerischen Zwangsmaßnahmen betroffen. In Graubünden waren es mehrere Tausend. Viele kamen aus schwierigen sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen und ihre von bürgerlichen Normen abweichende Lebensweise war Grund für massive Eingriffe und repressive Maßnahmen. Seit einigen Jahren erheben Betroffene nun verstärkt ihre Stimme: Sie berichten vom Erlittenen und fordern Aufarbeitung. Dass ihnen Unrecht geschah, wird heute offiziell anerkannt – 2017 sprach die Bündner Regierung eine Entschuldigung aus. Dementsprechend soll mit der Ausstellung „Vom Glück vergessen. Fürsorgerische Zwangsmaßnahmen in Graubünden“ im Rätisches Museum Chur nun Aufklärung betrieben und dieser Teil der Schweizer Geschichte aufbereitet werden.

Im Zentrum der Sonderausstellung stehen dabei fünf Betroffene, geboren zwischen 1881 und 1957. Ihre Lebensgeschichten sind je in einem Hörstück verdichtet, wodurch Schlüsselmomente und Kernthemen nachempfindbar werden sollen. Damit Besuchende sich auf diese Geschichten einlassen können, hat die Szenografin Karin Bucher für jede Lebensgeschichte einen entsprechenden, intimen, abgeschlossenen Raum entworfen. Diese „Kammern“ sollen die Erzählung illustrieren, sie erlebbar machen und ein immersives Eintauchen in eine andere Zeit mithilfe verschiedener Medien zulassen: Originaldokumente können zur Hand genommen und gelesen werden und reale Objekte verordnen die Geschichte in der Zeit. Um einen Perspektivwechsel zu ermöglichen, wird auf einer der Außenwände dieser Räume jeweils der historische Kontext dargestellt, denn jede Biografie ist beeinflusst vom sozialen und politischen Umfeld. Fragmentarisch werden hier zudem das Zeitgeschehen, die politischen und rechtlichen Grundlagen lose auf angelehnten Tafeln erzählt. Schicht um Schicht legen sich so die kollektiven Geschichten auf den Außenwänden um die individuellen Biografien im Inneren. Ergänzt werden die fünf Erzählräume schließlich von einem sechsten: Er ist als offene Fläche gestaltet und nur mit einem Bücherregal begrenzt, in dem sich weitere Biografien versammeln. Denn Reden, Schreiben und Zuhören kann Erlebtes verändern und manchmal sogar heilen.

Gestalterisch hat Karin Bucher dabei komplett auf das Material Karton gesetzt: „Brauner Verpackungskarton dient uns meist nur kurzfristig, um etwas für einen Transport zusammen zu halten oder zu schützen. Danach landet er im Altpapier, hin und wieder regt er die Spiele der Kinder an oder wird als wärmende Unterlage genutzt. Zusammen mit dem Team des Museums habe ich mit viel Hingabe und Geduld aus braunem Karton eine neue, liebevoll nachempfundene Welt erschaffen, um die Biografien aufzufangen. Die Objekte sind detailhaft nachgebaut und orientieren sich an den jeweiligen historischen Zeitabschnitten. Zugleich bieten sie durch ihre unbeschriebene Oberfläche einen Freiraum für eigene Empfindungen, Gedanken und Assoziationen sowie eine offene Projektionsfläche für Erinnerungen“, beschreibt sie ihr Gestaltungskonzept. Und es wird schnell klar: Auch wenn der Werkstoff auf den ersten Blick stark robust erscheint, so weiß jeder, dass Karton durchaus sensibel ist und auf ständige Beanspruchung empfindlich reagiert, wenn nicht sogar zusammenbricht – genau wie die Seele eines belasteten Menschen …

FACTS

Projekt:

Vom Glück vergessen. Fürsorgerische Zwangsmaßnahmen in Graubünden, Chur

Gestaltung:

Karin Bucher, Trogen (CH) > www.karinbucher.ch

Standort:

Hofstr. 1, Chur (CH)

Zeitrahmen:

22.08.2020–28.02.2021

Auftraggeber:

Rätisches Museum, Chur (CH) > www.raetischesmuseum.gr.ch

Fotos:

Rätisches Museum, Chur (CH) > www.raetischesmuseum.gr.ch