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Ausstellungsgestaltung

MoMö – Schweizer Mosterei- und Brennereimuseum

POSTED 30.04.2019
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Augenzwinkernd auch als „Mostindien“ bekannt, gehört der Kanton Thurgau zu den bedeutendsten Mostobstgebieten in der Schweiz. Inmitten jener Idylle aus Streuobstwiesen und Alpenpanorama eröffnete im kleinen Ort Arbon Ende 2018 das neue Mosterei- und Brennereimuseum, kurz MoMö genannt. Bereits 1895 von Hans Georg Möhl und seiner Frau gegründet, wurde die ehemalige Mosterei nun um ein Museum erweitert, das nicht nur das Thema „Apfel und Mosterei“, sondern auch die Geschichte des mittlerweile in fünfter Generation geführten Familienbetriebs authentisch präsentiert. Auf welch kreative Weise hierbei architektonische sowie szenografische Vermittlungsebenen zum Einsatz kommen, hat sich PLOT einmal genauer angeschaut.

 

von Julia Ihls und Leoni Mutschler

 

Wie kann ein Traditionsunternehmen zukunftsorientiert auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren und zugleich die eigene, langjährige Kompetenz einer breiten Öffentlichkeit authentisch vermitteln? Mit dieser Frage sah sich die Familie Möhl während der Planung eines neuen Lagerkellers im Jahr 2013 konfrontiert. So kam es neben dem Kellerausbau zu der Idee, die Mosterei zu einer Plattform weiterzuentwickeln, die gleichsam der eigenen Markenpräsentation wie auch der historischen Wissensvermittlung rund um das Thema Apfel und den bisher noch wenig aufgearbeiteten Schweizer Obstbau dient. Auf diese Weise entstand eine transdisziplinäre Begegnungsstätte, die sowohl Museum als auch Eventlocation und Gastronomie unter einem Dach vereint. Nach etwa fünfjähriger Planungs- und Realisierungszeit hat das MoMö nun im Oktober 2018 eröffnet und kann im Februar 2019 bereits knapp 10.000 Besucher verzeichnen. Schon der moderne Museumsbau, der hierfür in Zusammenarbeit von Harder Spreyermann Architekten, Zürich realisiert wurde, verhandelt dabei jenen Dialog aus Traditionsbewusstsein und Innovation. So erinnert das Gebäude an eine Mischung aus Scheune und Industriehalle und passt sich damit harmonisch in die Umgebung ein. Und auch bei der Gestaltung des Innenraums wird der gelungene Spagat zwischen nachhaltiger Regionalität und Fortschritt in der Verwendung der Materialien und der Art der Inszenierung fortgeführt: Beim Eintreten in das „Museum of Modern Öpfel“ (ja, der Wink zur großen Schwester in „Big Apple“ ist durchaus gewollt) ist ein Apfel das erste Exponat, das die Besucher erwartet. Jener liegt frei auf einem Sockel aus Holz von Thurgauer Wäldern und verleitet dazu, einfach mitgenommen zu werden. Die Anspielung auf die Geschichte des Apfels als verbotene Paradiesfrucht führt geschickt ins Thema ein, macht neugierig auf die Ausstellung und lässt die Besucher bereits beim Übertreten der Schwelle zu einem Teil des Möhl-Kosmos werden.

 

Zuerst folgt jedoch ein großzügiger Eingangsbereich: Dunkle Holzvertäfelungen an Wänden und Decke schaffen eine angenehme Atmosphäre und lenken die Aufmerksamkeit auf die detaillierte Gestaltung von Museumsshop und Gastrobar, deren Form aus aufgestapelten Hölzern auf die Dohlen beim Lagerfassbau referiert. Vom hellen Entrée kommen die Gäste anschließend in einen abgedunkelten Gang, der fokussierend auf den etwa 1.000 Quadratmeter großen Ausstellungsbereich einstimmt: Das Konzept, das die Zürcher Kreativen von aroma hierfür erarbeiteten, überzeugt dabei nicht nur mit einer harmonisch abgestimmten Gestaltung, sondern auch durch verschiedene, spielerisch angelegte Zugangsebenen. „Nicht zu edukativ sollte das Ganze sein“, erläutert Michael Hollstein, Kreativ-Direktor und Leiter der Konzeption bei aroma. Vielmehr war es das erklärte Ziel der Szenografen, den Besuchern das Thema „Apfel und Mosterei“ sinnlich und intuitiv näher zu bringen. So bietet bereits der Auftakt der Schau mit seiner rund geformten Holzverkleidung allerlei zu entdecken: Die sogenannte Geschichtswand gibt hier einen historischen Einblick in die Geschichte der Familie Möhl. Wer allerdings bei dem Wort „Geschichtswand“ an langweilige Zahlentabellen denkt, der wird gleich zu Beginn eines Besseren belehrt: Anstelle von langen Texten warten neben Videos und Audio-Stationen unzählige Klappen, Kurbelrädchen und sogar liebevoll gestaltete Puppenspiele auf ihre Erkundung. Schräg gegenüber befindet sich die „Prozesswand“, die noch einmal mit kunstvoll ausgefrästen Illustrationen den gesamten Mostprozess vom Apfel bis zur Flasche übersichtlich veranschaulicht. Doch auch die monochrom gehaltene, matte Nanotech-Oberfläche mit ihren minimalistischen Grafiken hält noch so manche interaktive Überraschung bereit. So falten sich hinter dezenten Klapptüren weitere explorative Vermittlungsebenen auf, wie beispielsweise olfaktorische Apfelaromen-Exponate oder ein „Foto-Fass“, in dem die Gäste ihr individuelles MoMö-Flaschenetikett erstellen können. Anschließend werden die Besucher in den offenen Hauptraum der Ausstellung geführt, in dem die „Mostfabrik“ als das zentrale, partizipative Herzstück der Ausstellung thront. Alle für den Mostprozess relevanten Geräte und Funktionen wurden dafür kunstvoll zu einem surrealen Maschinen-Regalaufbau zusammengefügt, der über einen interaktiven Projektionstisch via RFID-Technologie gesteuert werden kann. Dabei werden die Besucher einmal mehr auf unterschiedlichen Vermittlungsebenen angesprochen – sei es kognitiv, haptisch oder visuell. So lassen sich spielerisch die digital und analog verschränkten Schritte des Mostherstellungsprozesses in jener kunstvollen Anordnung nachvollziehen und rekapitulieren. Mit verschiebbaren Klötzchen können die einzelnen Produktionskomponenten in einem in Echtzeit ablaufenden Infografik-Video auf dem Tisch angewählt werden, während zugleich die dafür benötigten, in der Skulptur verbauten Exponate angestrahlt sind. Werden dabei die falschen Werkzeuge oder nicht die richtige Reihenfolge gewählt, reagiert die Projektion umgehend mit entsprechend realen „Fehlermeldungen“ wie leeren Fässern oder einer überlaufenden Saftpresse. Wenn sich die Besucher mittels Versuch und Irrtum zur Genüge mit dem Mosthandwerk auseinandergesetzt haben, können sie sich anschließend in das „Märli-Fass“ zurückziehen – einem vergrößerten, mit Bänken ausgestatteten Holzfass, in dem Hörspiele von lokalen Märchen abgespielt werden. Eine Destillerie-Station mit Kolonnenbrennerei für Vorführungen und Tastings runden das Apfelmost-Erlebnis im Erdgeschoss ab.

 

Während das Konzept hier als Dauerausstellung angelegt ist, bietet das Obergeschoss hingegen Möglichkeiten für temporäre Experimente und Wechselausstellungen. Als Galerie konzipiert, verbindet es zum einen die Ausstellungshalle über zwei großzügige Treppen mit dem Eingangsbereich und stellt zugleich einen funktionalen Bereich dazwischen dar: Der aus Sichtbeton konstruierte Riegel schafft Zugang von der Museumshalle zum darunterliegenden Lagerkeller und den Produktionshallen. Um die Funktion der vielen Exponate auch in Aktion kennenzulernen, bietet das Museum Interessierten eine Führung durch die Werkstätten an. Auch beim Rundgang wird einmal mehr deutlich, dass Nahbarkeit und sinnliches Erleben Teil des Museumskonzepts sind: So können die Besucher im Außenbereich bei der Anlieferung des Obsts auf einer Empore zuschauen, oder den in der Ausstellung bereits erläuterten Wasch- und Pressvorgang aus nächster Nähe erleben und eine Aroma-Probe aus der Mikrodestillerie entnehmen. Das Betreten der Lagerkeller, in denen riesige, moderne Metalltanks genauso wie alte Eichenholzfässer emporragen, ist zudem ein eindrückliches Erlebnis und gibt den Besuchern eine bessere Vorstellung von den bis zu 15 Millionen Liter Saft, die hier jährlich aus der Ernte von 25.000 bis 40.000 Tonnen Mostobst gewonnen werden. Vorbei an der sogenannten Cider-Werkstatt, in der an neuen Kreationen gearbeitet wird, endet der Rundgang im Fasskeller, auf dessen große Eichenholzfässer die Besucher bereits zu Beginn der Führung hinabblicken konnten. In einem kleinen Kinoraum wird das Erlebte dann zum Ende des Museumsbesuchs noch einmal zusammengefasst: Gestaltet mit Wänden, die von indirekt beleuchteten Etiketten sämtlicher Schweizer Mostereien gesäumt sind, wird hier ein von Ernst Möhl eingesprochener Imagefilm gezeigt, der den Jahresablauf des Unternehmens erläutert und die Geschichte der Apfelwelt anschaulich vermittelt.

 

Doch all dies ist nur der Anfang. Denn die Visionen und Ziele der Möhls sind noch längst nicht ausgeschöpft: Vielmehr sehen die Pläne, die bereits bis ins Jahr 2030 reichen, vor, mit dem MoMö vom Besucherzentrum nach und nach zum Kompetenzzentrum für Most, Saft und Spirituosen zu avancieren. Dabei soll unter anderem auch ein wohl überlegtes Außenprogramm wie die Nutzung des neu angelegten Gartens als Wildbienenhabitat mit Erlebnistrails, sowie ein abwechslungsreiches Kulturprogramm das Museumsangebot erweitern. So wird Arbon mit dem MoMö nicht nur um eine kulturelle Touristenattraktion im Thurgau bereichert, sondern erhält für die etwa 15.000 Einwohner auch einen Treffpunkt der etwas anderen Art, der sich flexibel an die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppen anpasst – ein agiles, zeitgemäßes und durchaus mutiges Konzept, das wir als besonders gelungen empfinden.
So lässt sich abschließend wohl sagen: Egal ob nur ein kleines Glas Most an der Bar oder bei der intensiven Auseinandersetzung im Ausstellungsraum: Das MoMö ist ein Ort des spielerischen Entdeckens, belebt durch die Familie Möhl, die mit ihrer Nahbarkeit und Authentizität fast selbst zum lebenden Exponat wird und die Besucher mit ihrer Begeisterung ansteckt. Wir sind auf jeden Fall schon sehr gespannt, was das „Museum of Modern Öpfel“ in Zukunft noch an innovativen Ideen und Überraschungen bereithält und bedanken uns für diese wunderbare Entdeckung: Wir kommen sehr gerne wieder!

FACTS

Projekt:

MoMö – Schweizer Mosterei- und Brennereimuseum, Arbon am Bodensee

Architektur:

Harder Spreyermann Architekten, Zürich (CH) > www.harderspreyermann.ch

Ausstellungsgestaltung:

Michael Hollstein/aroma, Zürich (CH) > www.aroma.ch

Standort:

Arbon am Bodensee (CH)

Fertigstellung:

Oktober 2018

Auftraggeber:

Mosterei Möhl AG, Arbon (CH) > www.moehl.ch

Fotos:

Bodo Rüedi Fotografie, St. Gallen (CH) > www.bo-do.ch