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Ausstellungsgestaltung

[LAUT] DIE WELT HÖREN, BERLIN

POSTED 05.03.2019
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Klang trifft uns unmittelbar und ist doch flüchtig. Er löst tiefe Emotionen aus und ist lebendiger Austausch. Klang fordert und bewegt uns – in jeder Kultur, in jeder Zeit. Dieser Faszination sowie dem unterschiedlichen Umgang mit Klängen wurde nun die Ausstellung „[laut] Die Welt hören“ in der Berliner Humboldt-Box gerecht und Töne hier in einer breiten Frequenz hör- und erlebbar gemacht. Dabei wird mit der Schau gezeigt, wie Musik und andere Klänge über verschiedene Kulturen und Epochen hinweg aufgezeichnet und miteinander geteilt, wie Melodien und Rhythmen weitergetragen werden und sich dadurch wandeln können. Doch wie lässt sich Ton als immaterielles Gut eigentlich ausstellen? Den Berliner Kreativen von TheGreenEyl ist dies auf sensible Weise gelungen – und dank des spannenden 3D-Audio-Systems von usomo werden zudem Raum und Zeit gekonnt miteinander verbunden.

 

von Kristina von Bülow und Janina Poesch

 

Klänge sind prozesshaft, unbeständig und vergänglich. Das gilt auch für menschliche Klänge, für Sprache und Musik. Erst mit der Erfindung des Phonographen 1877 ließen sich Schallereignisse mechanisch umwandeln, speichern und räumlich sowie auch zeitlich getrennt von ihrem Entstehen abspielen. Dies eröffnete neue Möglichkeiten – unter anderem für Wissenschaft und Forschung: Mithilfe dieser neuen Technik konnten Ethnologen Klänge einfangen und deren spezifische Bedeutung für die jeweilige Kultur und ihre Überlieferungswege beschreiben. Klangarchive entstanden und sämtliche Aufnahmen wurden gesammelt und systematisiert – stets von der Hoffnung geleitet, anhand von Sprach- und Musikaufnahmen Kulturen identifizieren und vergleichen zu können. Doch wer darf wessen Klänge eigentlich aufzeichnen, aufbewahren und weiterverwenden? Inwiefern lassen sich einzelne Musikkulturen voneinander abgrenzen? Was eint etwa die von der AMAR Foundation gesammelte Musik der arabischen Welt: Steht sie für eine spezifische Identität? Solchen Fragen müssen sich Klangarchive heute stellen, besonders wenn es um sensible Sammlungen geht – wie etwa Aufnahmen der Navajo-Indianer oder den Kriegsgefangenen-Aufnahmen aus dem Ersten Weltkrieg.

Dementsprechend behutsam werden in der Ausstellung „[laut] Die Welt hören“ die Klang- und Musikaufnahmen aus drei Archiven präsentiert: dem Phonogramm-Archiv des Ethnologischen Museums, dem Lautarchiv der Humboldt-Universität und dem Archiv arabischer Musik der AMAR Foundation aus Beirut. Und Besucher können hier über zwei Etagen hinweg erleben, was Forschungsreisende seit Ende des 19. Jahrhunderts in der ganzen Welt unter anderem auf Klangwalzen aufgenommen haben. Dabei wird auf 800 Quadratmetern eine Ansammlung von beinahe allen erdenklichen Aspekten gezeigt, die einem bei der Archivierung von Klang, Sprache, Musik und Geräuschen aus historischer und aktueller Perspektive in den Sinn kommen: In einer archivähnlichen Architektur aus Aluminiumregalen – gestaltet von den Berliner Kreativen von TheGreenEyl – finden sich in Vitrinen zahlreiche Texttafeln und verschiedenste Exponate zu den beiden Berliner Lautarchiven und deren Sammlungen, der technischen Entwicklung von Aufnahme- und Speichermedien, der Visualisierung von Klang, dem Vertrieb, der Frage nach dem Urheberrecht, der heutigen Verwendung von Tonaufnahmen in der Dialektforschung und vieles mehr. Da die zentralen Objekte der Ausstellung jedoch weder sicht- noch haptisch erlebbar sind, bekommen jene eine ganz besondere Präsenz. So überlagert eine lückenlose auditive Ebene die Ausstellungsarchitektur, in welche die Besucher über ein intelligentes Kopfhörersystem eintauchen können. Zu entdecken sind darin präzis verortete Klänge, die sich im Zusammenspiel mit den Bildern, Filmen und Exponaten zu einer ganz besonders sinnlichen Erfahrung entfalten.

 

Auf interaktiven Klangspuren

Ein interaktives Audio-System ist dabei der ideale digitale Begleiter: Ausgestattet mit einem Kopfhörer, an dem ein Trackingmodul angebracht ist, und einem Smartphone machen sich Interessierte auf den Weg durch den Raum und müssen nichts weiter tun, als wahrzunehmen. Der Weg, den sie einschlagen, ist ihnen dabei völlig selbst überlassen: Es gibt keine festgelegte Route, sie wandeln auf ganz eigenen, intuitiven Pfaden. Je nachdem vor welchem Objekt sie sich gerade aufhalten oder in welchen Ausstellungsbereich sie sich hineinbewegen, werden dann Musik und Stimmen automatisch abgespielt: Sie werden lauter oder leiser und verändern sich. Dies gelingt, weil die Klänge nicht von statischen, im Raum fest verankerten Soundquellen kommen, sondern dank eines 3D-Audio-Systems hörbar gemacht werden. Entwickelt von den Berliner Experten von usomo, reagiert jenes in Echtzeit auf die Bewegung und Position der Menschen im Raum: Der Sound folgt den Hörenden, umgibt sie von allen Seiten und lässt sie vollkommen in die digitalen Klangwelten eintauchen.

Besonders eindrücklich wird dieser immersive Effekt in einer Videoinstallation im Bereich des Klangarchivs der AMAR Foundation vermittelt. Die Besucher stehen hier – umgeben von drei relativ dicht zueinander aufgestellten Screens – inmitten von bewegten Bildern und sehen die Szenen um sie herum ablaufen: vor allem Close-ups von Gesichtern einer zu Percussion und Gesang in Trance tanzenden Menge. Sie werden regelrecht in die Szenerie hineingezogen: Sie hören die Klänge exakt von dort kommen, wo die verschiedenen, aber miteinander korrespondierenden Bilder es vorgeben. Drehen sie sich schließlich wieder ab und tauchen aus der Szene wieder auf, verändern sich auch die Klänge und das Gefühl macht sich breit, einen realen Schauplatz zu verlassen.
Auch zu allen Objekten, die hier im Obergeschoss der Humboldt-Box ausgestellt sind, werden die passenden Sounds positionsabhängig im Kopfhörer zugespielt – wobei sie fließend in die Sounds der folgenden übergehen. Egal, ob sich die Besucher an Reihen von rechtwinklig zur Wand hängenden Schallplatten, an Vitrinen mit detailliert beschrifteten und stark vergilbten Musik- und Videokassetten sowie handschriftlichen Transkripten vorbeibewegen. Semi-transparente Gazestoffe mit arabischer Ornamentik fungieren zudem als Raumteiler und suggerieren als Unterstützung zum akustisch immersiven Effekt, sich im selben Zimmer wie der Geschichtenerzähler im hier abgespielten Film zu befinden. Nach einigen größeren informativen und unterhaltsamen Stationen, werden die Besucher schließlich dank interaktiver Hotspots in den Böden spielerisch entlang einer imaginären Route durch arabische und europäische Kulturen und Epochen geleitet – eine Route, deren roter Faden ein sehr altes Lied ist, das den Hörenden wie auf einer Zeitreise in die Gegenwart folgt.

FACTS

Projekt:

[laut] Die Welt hören, Berlin

Gestaltung:

TheGreenEyl GbR, Berlin (DE) > www.thegreeneyl.com

Räumliche Soundinszenierung:

usomo by FRAMED immersive projects GmbH & Co. KG, Berlin (DE) > www.usomo.de

Standort:

Humboldt-Box, Berlin (DE)

Zeitrahmen:

22.03.2018–16.09.2018

Auftraggeber:

Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Berlin (DE) > www.humboldtforum.com

Fotos:

David von Becker/Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Berlin (DE) > www.humboldtforum.com
Schnepp Renou, Berlin (DE) > www.schnepp-renou.com