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Ausstellungsgestaltung

Sounds of Silence

POSTED 07.12.2018
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Was macht eine Ausstellung aus, in der es ausnahmsweise einmal nichts zu sehen, sondern nur zu hören gibt? In unseren heutigen Zeiten der visuellen Reizüberflutung, in denen sich die optischen Spektakel tagtäglich überbieten, grenzt es nahezu schon an gestalterische Subversion, auf ein weit subtileres Konzept der Vermittlung zu setzen: den Klang – oder vielmehr dessen Abwesenheit. Die Sound-Designer von idee und klang haben sich für die Wechselausstellung „Sounds of Silence“, die am 9. November 2018 im Museum für Kommunikation in Bern eröffnete, ein technisch ausgefeiltes Konzept überlegt, das die Besucher in eine dreidimensionale Hörerlebnis-Welt eintauchen lässt. Wie dieses Experiment funktioniert, hat sich PLOT einmal genauer angeschaut.

 

von Julia Ihls

 

Was ist eigentlich Stille? Existiert sie überhaupt? Und wie gehen wir heute mit ihr um? Laut Lexikon definiert sich Stille durch die Abwesenheit von Klang. Doch in den heutigen Zeiten von hektischem Verkehrslärm, Events und endlosem Telefonklingeln gestaltet sich die Suche nach einem Ort, an dem völlige Geräuschlosigkeit erlebt werden kann, immer schwieriger. Kein Wunder also, dass Stille – wenn wir sie doch einmal gefunden haben – im ersten Moment befremdlich und irritierend wirkt. Dabei handelt es sich jedoch stets um eine rein subjektive Erfahrung: Was für den einen als wohltuende Ruhe empfunden wird, raubt dem anderen bereits den Schlaf. So wird Stille nur im unmittelbaren Kontrast erfahrbar: Eine Geschichte der Stille ist eben immer auch eine Geschichte des Klangs.

 

Die Stille im Raum

Wie nun aber Stille im Ausstellungsraum ex negativo erfahrbar machen? Zwar wird Sound gerne als Vermittlungstool in Form von Hörstationen oder Audio-Guides eingesetzt, doch handelt es sich dabei meist um eine zusätzliche Informationsebene, die alternative Zugänge zur klassisch-visuellen Wegführung bietet. Und selbst in diesem Fall wird eben doch immer nur Klang eingesetzt, aber nicht dessen Abwesenheit. Wie stark kann dahingehend die visuelle Ebene reduziert werden, ohne dass sich Besucher alleingelassen fühlen? Und wie viel visuelle Stütze lässt sich geben bevor die Stille dem Kopfkino, das vom Sound ausgelöst wird, in die Quere kommt? Diesen Fragen und Herausforderungen sahen sich die Klangszenografen von idee und klang gegenüber, als sie das Konzept für „Sounds of Silence“ erarbeiteten. Um den Fokus der Schau zu verschieben, entwickelten sie einen radikalen Ansatz: eine „visuelle Diät“ für die Besucher!

So verzichteten Ramon De Marco und Jascha Dormann komplett auf gedruckten Text und kamen auch sonst nur mit sehr wenigen visuellen Medien wie Exponate, Fotografien oder Filme aus. Stattdessen wählten die Gestalter in Zusammenarbeit mit den Szenografen von ZMIK eine abstrakte Raumgrafik zur Kommunikation: Der 600 Quadratmeter große Raum wird dabei nicht durch zusätzliche Wände strukturiert, vielmehr formen lediglich einige zarte Schnurvorhänge die semi-transparenten Aussparungen in der schwarz-weiß gehaltenen Schau. Goldene Kugeln hängen sphärisch von der Decke und bilden mit den runden bunten Hockern die einzigen Farbakzente. Wer nach visuellen Anhaltspunkten Ausschau hält, der sucht vergebens: Die maßgebliche Vermittlung erfolgt über den Gegensatz von Klang und Stille sowie das umfassende Spektrum dazwischen. Hierfür werden die Besucher zu Beginn mit Smartphone und Kopfhörern ausgestattet, mit denen sie sich frei durch den Raum bewegen können. Dabei sind sie eingeladen, sich ausnahmsweise einmal nur auf ihre Ohren zu verlassen, denn nur durch die eigene Bewegung in der dreidimensionalen Klanglandschaft lässt sich die Erfahrung der Stille erleben. Jene Fokusverschiebung weg vom Visuellen hin zum Auditiven mag zu Beginn etwas gewöhnungsbedürftig sein oder gar als Zumutung empfunden werden, jedoch ist sie die notwendige Voraussetzung zur Sensibilisierung für das Thema. Um das abstrakte Thema „Stille“ inhaltlich zu übersetzen, nutzten die Klangszenografen das Genre des Radio-Features als historische Inspirationsquelle. Das etwas in Vergessenheit geratene Format etablierte sich nach 1945 in den Kulturprogrammen des Rundfunks und verbindet Elemente von Hörspiel, Dokumentation und Reportage. Für „Sounds of Silence“ sollte das Radio-Feature ein Upgrade ins 21. Jahrhundert bekommen und in Form von dreidimensionalen Hörspielen erlebbar werden.

 

Die Technik hinter dem Klang

Um ein derart immersives Klang- und Stille-Erlebnis zu erzeugen, bedarf es einer technisch-präzisen Umsetzung, die eine punktgenaue Interaktion der Besucher voraussetzt. Hierfür wurde das usomo Sound System eingesetzt, welches den Mono-/ORTF-3D-Aufnahmen der verschiedenen Geräuschelemente in der Ausstellung binaurale Filter in Echtzeit hinzufügt. Bei der sogenannten Binaural Sound Technologie handelt es sich um ein spezielles Tonaufnahme-Verfahren, das eine räumliche Klangverortung des Hörers ermöglicht. Im Gegensatz zum verbreiteteren Stereo werden hierbei auch Faktoren wie die Kopfform oder die Ohrmuschelgröße beim Aufnahmeprozess berücksichtigt, sodass etwaige Verzerrungsfaktoren beim Hören erfasst werden. Entsprechend kann eine subjektive Richtungslokalisation, etwa ob ein Geräusch von vorne oder unten links ertönt, technisch übersetzt und wiedergegeben werden. Doch die bereits in den 1980er-Jahren entwickelte binaurale Technologie macht nur die Hälfte der immersiven Klangerfahrung in „Sounds of Silence“ aus. So wurden die Tonaufnahmen mit einem speziellen Tracking-System, dem sogenannten UWB, kombiniert. Die Abkürzung UWB steht für ultra-wideband (Ultra Breitband) und kennzeichnet eine Indoor-Tracking-Technologie, die maßgeblich in der Industrie Anwendung findet und außerhalb der gängigen WLAN- oder Bluetooth-Standards arbeitet. Dabei werden Position und Kopfrotation mit 100 Standortabfragen pro Sekunde erfasst, sodass anhand dieser Daten die Hörperspektive jedes Besuchers in Relation zur ihn umgebenden Klanglandschaft in Echtzeit errechnet wird. Auf diese Weise war es den Sound-Designern mittels Filteralgorithmen möglich, unsichtbare Klangobjekte genau im Raum zu positionieren, mit denen die Hörenden durch ihre Bewegung interagieren können. Unsichtbare Exponate? Wer schon einmal versucht hat, eine „unsichtbare Ausstellung“ umzusetzen, der weiß um die gestalterischen und technischen Herausforderungen einer solchen Aufgabe. Entsprechend durchlief das Projektteam in Berlin und Bern mehrere Testphasen, in denen sie Wegführung und Bodenmarkierungen erarbeiteten, um somit Design und Technik aufeinander abzustimmen.

 

Eine Reise durch die Zeit

Begeben sich die Besucher nun, ausgerüstet mit Smartphone und Kopfhörern, auf den Weg in die Stille, so finden sie sich in einer Schneelandschaft wieder. Weiße wolkenartige Sitzkissen geben die Möglichkeit, einen Moment inne zu halten, um den Blick über die verschneite Weite schweifen zu lassen. Neben entferntem Hundebellen ist nichts zu hören, alles scheint in Watte gepackt. Nach einer Weile erklingen stapfende Schritte, die sich nähern und schließlich vor den Besuchern stehen bleiben. Hier lernen die Hörenden die körperlose Stimme kennen, die sie – mal ermunternd und informativ, mal frech und provozierend – durch die Schau begleitet und sie gleich zu Beginn vor die erste Herausforderung stellt, schließlich müssen sie einfach noch eine Weile still verharren und nichts tun. Was simpel klingt und vielleicht entfernt an eine Meditationsübung erinnert, gestaltet sich jedoch schwieriger als gedacht – bedeutet die Begegnung mit der Stille doch immer auch eine reflexive Konfrontation mit sich selbst.

Sobald diese erste Hürde genommen ist, geht es weiter in einen kleinen Vorraum. Hier machen sich die Hörer erst einmal mit der Technologie vertraut. Ähnlich der Logik eines Computerspiels, in dem die Spieler zuerst anhand eines Tutorials die grundlegenden Tastenkombinationen und Funktionen erlernen müssen bevor sie das eigentliche Spiel starten, so müssen auch die Besucher in „Sounds of Silence“ mittels einiger Beispiele die Interaktion mit ihrer Umgebung üben, bevor sie in den Hauptraum der Ausstellung gelangen. Durch die Mitte des Raums schlängelt sich hier ein weißer Pfad, der wie ein Zeitstrahl das Thema „Stille“ in sieben Stationen entlang verschiedener Epochen – vom Urknall über die griechische Antike bis hin zum 21. Jahrhundert – verhandelt. Dabei wird die Schau in zwei Seiten aufgeteilt: Rechts geht’s zum Lärm, links zur Stille. Zu beiden Seiten des Wegs gibt es viele weitere Inhalte zu entdecken, die sich mit dem Phänomen „Stille“, dessen Gegenpart (dem Phänomen „Lärm“), der Ambivalenz, die der Stille innewohnt sowie der menschlichen Suche nach ihr mit partizipativen Hör-Experimenten befassen. Wie sich die Reise jedoch konkret gestaltet, wird von den Besuchern individuell durch ihre Bewegungen und Interaktionen mit der Umgebung bestimmt. So eröffnen sich immer wieder neue Räume in der Klanglandschaft, in welche die Hörer gleich in dreidimensionale Hörspiele eintauchen können – sei es ein philosophischer Diskurs Senecas zum Thema „Lärm“ oder die Stille-Erfahrungen der Schriftstellerin Sarah Maitland in der Abgeschiedenheit der schottischen Isle of Skye.

Das Ende der Schau bilden abschließend die Erlebnisräume der „Stadt der Stille“. Hier können die Besucher beispielsweise in einem Konzertsaal John Cages Stück 4’33“ lauschen, das mittels einer 8-Kanal-ORTF-3D-Aufnahme bei einer Aufführung des Staatsorchesters Stuttgart im Beethovensaal Stuttgart realisiert wurde.

 

Was zeigt uns eine Ausstellung wie „Sounds of Silence“ auf? Abschließend lässt sich wohl sagen, dass die Szenografen von idee und klang nicht nur auf gestalterischer, sondern auch auf sozial-kultureller Ebene unsere (Seh-) Gewohnheiten gegen den Strich bürsten. So werden wir – ganz ohne Pathos oder Melodramatik – mit der offenen Frage entlassen, ob nicht ab und an die Inszenierungen unserer „Gesellschaft des Spektakels“, wie sie bereits der Autor und Künstler Guy Debord beschrieb, zugunsten eines Raums für Rückzug, Ruhe und kontemplative Innenschau weichen sollten?

FACTS

Projekt:

Sounds of Silence, Bern

Klangkonzept:

idee und klang, Basel (CH) unter der Leitung von Jascha Dormann > www.ideeundklang.com/audio

Projektteam:

Sound-Design: Ramon De Marco, Jascha Dormann und Simon Hauswirth/idee und klang, Basel (CH)
> www.ideeundklang.com/audio
Sound-System: usomo | unique sonic moments/FRAMED immersive projects GmbH & Co. KG, Berlin (DE)
> www.usomo.de
Szenografie: ZMIK GmbH / Studio for Spacial Design, Basel (CH) unter der Leitung von Rolf Indermühle > www.zmik.ch
Ausstellungsgrafik: Büro Berrel Gschwind, Basel (CH) unter der Leitung von Dominique Berrel > www.berrelgschwind.ch
Inhalt: Museum für Kommunikation Bern, Bern (CH) unter der Leitung von Kurt Stadelmann > www.mfk.ch
Bettina Mittelstraß, Berlin (DE) > www.bettinamittelstrass.de

Standort:

Museum für Kommunikation Bern, Helvetiastr. 16, Bern (CH)

Zeitrahmen:

09.11.2018–07.07.2019

Auftraggeber:

Museum für Kommunikation Bern, Bern (CH) > www.mfk.ch

Fotos:

Digitale Massarbeit, Biberist (CH) > www.digitalemassarbeit.ch
Jascha Dormann/idee und klang, Basel (CH) > www.ideeundklang.com (Making-of)