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Film- & Bühnenarchitektur

Filmrezension „Leviathan“

POSTED 12.02.2016
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PLOT war im (Heim-)Kino! Und schon der Titel des Films ist ein starker Atmosphäre-Generator. Bereits im Vorfeld hatte „Leviathan“ Aufsehen erregt, da Russlands Kulturministerium den Film großzügig finanziert hatte. Der Film soll Kunst sein, ist aber vorwiegend auch ein düsteres Hiobs-Gleichnis über das Leben im Niemandsland Russlands. Ein guter Grund, sich dem Leviathan – ein Seeungeheuer der Mythologie – im Kinosaal zu stellen und ihm in den Rachen zu blicken.

von Alexander Bischoff

Andrei Swjaginzew wurde mit seinem Film „The Return“ zu einem neuen Stern des russischen Kinos. Nun hat er sich ein düsteres Drama über einen Verlierer in der rauen Wildnis Russlands geschnitzt. Für das Drehbuch erhielten Swjaginzew und Oleg Negin 2014 die Goldene Palme. Der Film wurde international sehr positiv aufgenommen, wobei Vermutungen über propagandistische Intentionen aufkamen, da bekannt war, dass das russische Kulturministerium den Film zu einem großen Teil finanziert hatte. Diese Unterstellung hat, wie der Besuch im Kino beweist, keinerlei Hand und Fuß: „Leviathan“ ist ein Beispiel für freie Kulturförderung, die sich dem aktuellen Medienbild von Russland deutlich widersetzt. Alles in diesem Film möchte künstlerisch verstanden werden und ist auf die beteiligten Filmemacher zurückzuführen. „Leviathan“ will von Anfang an Autorenfilm, Filmkunst und Kino sein.

Ja, die Geschichte ist holzschnitthaft und neigt zu Klischees, aber das ist erstaunlicherweise gut: Ein fetter Lokalpolitiker will ein Grundstück für ein Bauprojekt haben, das einem Fischer gehört, der es nicht hergeben will. Der gefräßige Machtmensch nutzt seine Kontakte nach ganz oben, um das Land enteignen zu können, womit der sture Hausbesitzer und der ebenso sture Herrscher aufeinander prallen. Leider unterschätzt sowohl der Fischer als auch sein Umfeld den Stolz des Politikers und löst damit eine Spirale der Gewalt und Zerstörung aus. So erzählt der Film vom Untergang eines Menschen und von der Beständigkeit weltlicher Macht, die alles und jeden als Instrument und in ihrem Dienst versteht – Religion wird hier fast märchenhaft düster, als Verbündeter und Unterstützer der herrschenden Klasse erzählt. Herrschaft ist hier das notwendige Übel in Gottes Plan.

„Leviathan“ zeigt und entlarvt die Räume und Insignien der Macht: Der Politiker besitzt eine Limousine, hat bullige Fahrer, die ihn beschützen, darf in teuren Hotels und Restaurants edlen Alkohol und Köstlichkeiten zu sich nehmen, hat direkten Zugang zum geistlichen Oberhaupt der orthodoxen Kirche und muss dann doch mit seinem verkommenen Stab in einem tristen Amtsgebäude die Geschicke seiner Unternehmungen lenken – immer unter Druck und ständig in Sorge, aber letztlich immer bereit, sich zum Schutz der eigenen Haut, des eigenen kleinen Machthorizonts, die Hände schmutzig zu machen.

Der Film zeigt aber auch das einfache Leben, das in seiner Armut befreiend und lebendig wirkt, wäre da nicht seine deutliche Schwäche gegenüber der Macht. Denn selbst wenn ein einfacher Mensch sich aufbäumt, wie wir es in der Figur des Fischers für einige Momente erleben dürfen, und die Hoffnung aufkommt, der kleine Mann könne sich mit den Großen anlegen, wird dieser letztendlich unterworfen. Jegliche naive Sehnsucht nach einer höheren wirksamen Gerechtigkeit wird konsequent in Frage gestellt. Exemplarisch und filmisch wird dies an der Zerstörung des alten Fischerhauses und seinem Besitzer demonstriert.

Die Szenografie ist in diesem Film sehr präsent, fast mächtig. Die Räume strahlen eine durchgehende Atmosphäre der Trostlosigkeit und Verzweiflung aus. Der heruntergekommene Ort, mit seinen ärmlichen Vierteln und das abgelegene Fischerhaus bilden ein Spielbrett. Darauf sind die Menschen, selbst die Mächtigen, nur grob geschnitzte Figuren in einem Spiel, das von immer höheren Spielern im Hintergrund bestimmt wird.

So wird in dem Film die Staatsmacht als den Menschen zerschmetternden Leviathan gezeigt, so wie ihn der englische Philosoph Thomas Hobbes in seinen Schriften formulierte. Doch der Film lässt auch eine andere Perspektive zu. Denn in „Leviathan“ umgibt die Menschen, ihre Macht und ihre Orte ein viel mächtigerer Raum, der verdeutlicht, wie klein und hilflos selbst die vermeintlich Mächtigen letztendlich sind: das Meer. Dabei macht die Kamera immer wieder deutlich, wie schön und wie rau die Welt und das Meer außerhalb der schützenden Behausungen sein kann. Eine Flucht in die Romantisierung des einfachen Lebens auf dem Lande wird konsequent abgelehnt. Die Küste ist hier die Bühne für einfache und tragische Menschenleben.

Das raue Meer vor dieser Landschaft verschlingt alles, was ihm zu nahe kommt. Seine kalten Wassermassen umarmen die Lebensmüden und verschlingen die Opfer der Mächtigen. Das Meer macht keinen Unterschied, verfolgt keinen Plan, will nichts. Dieser Leviathan interessiert sich nicht für Gut und Böse. Im Angesicht dieser monströsen Gerechtigkeit der Natur verliert das Monstrum Mensch an Bedeutung und Schrecken. Dieser Kinobesuch hinterlässt eine unbefriedigende Last, hinter der existenzielle Fragen warten.

 

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Leviathan

 

FACTS

Titel:

Leviathan

DVD-Start:

15.01.2016

Regie:

Andrei Swjaginzew

Drehbuch:

Oleg Negin, Andrei Swjaginzew

Szenenbild:

Andrey Ponkratov

Kamera:

Mikhail Kirchman

Fotos:

Wild Bunch Germany > www.wildbunch-germany.de

Links: