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ARE YOU SPINNING?

POSTED 13.09.2018
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Mit „Are you spinning?“ entwickelte MESO Digital Interiors eine interaktive Lichtinstallation, mit der die Besucher der Luminale 2016 zum Radfahren animiert werden sollten. Sebastian Oschatz ist Geschäftsführer des Frankfurter Büros und konzipiert seit über 20 Jahren digitale Systeme zur Kommunikation im Raum. PLOT hat sich das großformatige Fassadenspiel sowie die Inszenierung einer Markenidentität im urbanen Kontext von ihm ausführlich erklären lassen.

 

von Sebastian Oschatz

 

Als Till Schneider, Mitinhaber des Frankfurter Architekturbüros schneider+schumacher, kurz vor Weihnachten 2015 in unsere Werkstatt kam, hatte er ein Muster eines Stahlgewebes in der Hand, das er gerade für eine Parkhausfassade plante. Der metallische Glanz und die hohe Transparenz hatten es ihm angetan und zusammen mit seinem Bauherren CA Immo kam er auf die Idee, diese Fassade zur Luminale – ein Festival der Lichtkultur, das seit 2000 alle zwei Jahre in Frankfurt stattfindet – mit einer temporären Lichtinstallation zu bespielen.

Von dieser Initialzündung ließen wir uns gerne mitreißen und ein erster improvisierter Workshop am selben Tag brachte schon eine wichtige Erkenntnis: Das Material hatte hohes Leinwand-Potenzial. Projektionen, Scheinwerfer aus verschiedenen Richtungen, eingefädelte, eingeflochtene oder angeclipste LEDs – viele denkbare Strategien wurden ausprobiert. Nur die erste Idee – eine Großprojektion mit Beamern – kam nicht in Frage, da eine Umsetzung den Rahmen des Budgets sprengen würde. Während eines zweiten Workshops mit dem Bauleiter einige Wochen später erhielten wir dann weitere Einblicke in das Bauprojekt: Das sich noch im Bau befindliche Parkhaus sollte zum Zeitpunkt der Luminale 2016 zwar fertiggestellt sein, wäre aber noch nicht bezogen und die Flächen damit frei zugänglich – ideale Voraussetzungen also, um die mediale Inszenierung im Parkhaus zu installieren. Allerdings konnte das Stahlgewebe erst wenige Tage vor der Veranstaltung an die Fassade gehängt werden, sodass etwaige Lichteffekte erst kurz vorher getestet werden konnten. Eine erste Baustellenbesichtigung veranschaulichte schließlich die enorme Größe des Parkhauses. Egal welche Technik hier zum Einsatz kommen würde: Es würden einige Lastwagen voll mit Equipment benötigt.

Bereits von Anfang an formte sich in unseren Köpfen dabei die Idee, eine Standardtechnik, die sonst eher auf Automobilmessen oder in Bühnenshows zum Einsatz kommt, umzunutzen. Dementsprechend entschieden wir uns für 120 kopfbewegte Scheinwerfer mit einem sehr eng gefassten Strahl: Die RGBW-LED-Chips der ausgewählten Produkte liefern einen hochintensiven, fokussierten Lichtstrahl von fünf Grad und ihre Köpfe lassen sich in alle Richtungen kippen und schwenken – sie weisen also genug Lichtstärke und Flexibilität auf, um die gesamte Parkhausfassade zu erleuchten. Inhaltlich konzentrierten wir uns derweil auf die Tatsache, dass im Erdgeschoss des neuen Gebäudes Frankfurts erstes Fahrradparkhaus geplant wurde, inklusive einer Werkstatt, um das Fahrrad tagsüber reparieren zu lassen – ein echter Fortschritt für alle Pendler in Frankfurt, die vom Zug aufs Rad umsteigen wollen. Und ein interessanter Ansatzpunkt für die Weiterentwicklung dieses Projekts: Da die vollständige Bebauung des Geländes noch nicht beendet war, stand mit dem ehemaligen Parkplatz vor dem Neubau noch eine große Freifläche zur Verfügung – und somit auch ausreichend Platz für eine interaktive Station, mit der die Besucher einbezogen werden konnten.

Interessierte sollten sich aber nicht nur am Geschehen beteiligen, sondern zudem Lust aufs Radfahren bekommen. Somit war das Konzept schnell geboren: Jeweils zwei Besucher werden eingeladen, gegeneinander auf zwei Fahrrädern in den Wettkampf zu treten. Allerdings nicht auf der Straße, sondern in einem überdimensional großen Computerspiel – ausgetragen auf der Fassade des Parkhauses. Damit formte sich auch die Ausgestaltung der Aufgabe: Konzipiere ein interaktives, leicht verständliches Spiel für zwei Personen, die auf Fahrrädern sitzen. Ein Spiel, das mit nur 120 frei beweglichen Lichtpunkten auf der Fassade plausibel dargestellt werden kann und darüber hinaus ein visuelles Spektakel entstehen lässt. Das hieß schlussendlich, eine Software zu entwickeln, mit der die Kundenanforderungen, die neuesten digitalen Technologien sowie ein hoher gestalterischer Anspruch miteinander verknüpft werden können – eine spannende Herausforderung, und bald wurde uns klar, dass die Lösung irgendwo bei klassischen 8Bit-Spielen liegen musste. Aber welches der Spiele würde all diese Anforderungen erfüllen?

Da das Parkhaus zum Zeitpunkt des Entwurfs noch keine Fassade hatte, begannen wir zunächst mit Simulationen. Hierfür baute unser leitender Programmierer ein 3D-Modell des Gebäudes und begann, die Lichtpunkte auf der Fassade nachzuahmen. Zudem mussten die Winkel der Scheinwerfer überprüft werden: Sind diese zu flach, werden die Lichtpunkte zu Ellipsen. Auch die Vorab-Untersuchung der Lichtradien spielte eine große Rolle: Sobald einer der 120 LED-Scheinwerfer seinen Radius ausgeschöpft hat, übernimmt der nächste. Noch bevor jener aktiviert werden kann, muss er also seine Position bereits erreicht haben. Um dies zu gewährleisten, programmierten die Softwareentwickler die Scheinwerfer in akribischer Feinarbeit und sorgten damit für ein einheitliches Gesamtbild mit fließenden Übergängen und reibungslosen Spielbewegungen. Die Fassade als Leinwand zu begreifen bot sich direkt an: Zwar wirkt das halbtransparente Drahtgewebe im Tageslicht sehr zurückhaltend und elegant, in der Dunkelheit ermöglicht es jedoch spannende Projektionen, die sich dank der Programmierer und Softwareentwickler fließend über die Gebäudehülle und somit auch über die Grenzen der einzelnen Stockwerke hinwegbewegten. Die Fahrräder stellte der Betreiber der Fahrradwerkstatt dann zur Verfügung: Die neuwertigen Fixies wurden modifiziert und auf handelsübliche Rollentrainer montiert, die sowohl die Trittgeschwindigkeit als auch die Ausrichtung der Lenker auf die LED-Strahler übertrugen und so das Licht in farbig wechselnde Impulse übersetzten.

Jetzt mussten nur noch die Spieler, die durch einen roten bzw. grünen Punkt auf der Fassade visualisiert wurden, ihre Arbeit tun: Ihre Aufgabe war es, innerhalb des Spiels Autoscheinwerfern (zwei weiße Punkte) auszuweichen sowie dabei so viele Goldstücke wie möglich aufzusammeln (gelbe Punkte). Mithilfe ihrer Lenker waren sie in der Lage, ihren eigenen Lichtpunkt zu steuern sowie dessen Geschwindigkeit mithilfe der Pedale zu regulieren. Der Spieler, der die meisten Punkte sammeln konnte, gewann das Spiel. Und bis dahin hieß es: den Mitspieler rammen, Münzen vor der Nase abjagen oder ihn sogar weg von den begehrten Münzen und vor die herannahenden Autoscheinwerfer zu drängen.

„Are you spinning?“ war ein voller Erfolg: Die Besucher der Luminale liebten die interaktive Installation, die dazu einlud, selbst mal wieder in die Pedale zu treten. Und auch wenn wir lediglich zwei Nächte Zeit hatten, um das Spiel in Betrieb zu nehmen, blieb für uns dennoch ein wenig Muße, um einige kreative Optionen auszuloten. Und mit dem Abschluss dieses Projekts endet noch lange nicht das Nachdenken, Planen und Erforschen. Denn gerade unsere Neugierde und Leidenschaft stellen ja die Fragen nach dem Potenzial und den weiteren Möglichkeiten, die unsere Installationen sowie die verwendeten Komponenten noch bereithalten könnten.

FACTS

Projekt:

Are you spinning?, Frankfurt am Main

Gestaltung/Architektur:

schneider+schumacher Verwaltungsgesellschaft mbH, Frankfurt (DE) > www.schneider-schumacher.de

Medienproduktion:

MESO Digital Interiors GmbH, Frankfurt (DE) > meso.design

Standort:

Luminale 2016, Parkhaus am Hauptbahnhof, Frankfurt (DE) > luminale-frankfurt.de

Zeitrahmen:

13.03.2016–18.03.2016

Auftraggeber:

CA Immobilien Anlagen AG, Wien (AT) > www.caimmo.com

Fotos:

CA Immobilien Anlagen AG [2], Wien (AT)
Constantin Urban/MESO Digital Interiors GmbH [12], Frankfurt (DE)
MESO Digital Interiors GmbH [1,4–11,13], Frankfurt (DE)
Norbert Miguletz [3], Frankfurt (DE) > www.miguletz.de