Neue Welten
Kulturzeichen Kitzinger Land, Kitzingen
Als Auftakt des auf fünf Jahre angelegten Kulturprojekts „Von edler Art“ im Kitzinger Land konstituierten Studierende des Studiengangs Bühnenbild_Szenischer Raum der Technischen Universität Berlin einen szenografischen Parcours zum Thema „Schleierzeichen“. Geschichte, gegenwärtige Relevanz und persönliche Wahrnehmung des Ortes wuchsen so zu vier Installationen, die sich mit unterschiedlichen Ansätzen an Besucher und Bewohner der Stadt Kitzingen wandten.
von Judith Noack
Kitzingens Gründungssage bildete den Ausgangspunkt der Arbeiten. Demnach ließ die adelige Hadeloga, auf der Suche nach einem geeigneten Ort für den Bau eines Klosters, ihren Schleier vom Schwanberg fliegen. Die Entscheidung übertrug sie dem Wind. Ein Schäfer namens Kitz fand diesen Schleier an einem Weinstock und daraufhin wurde an jener Stelle das Kloster von Kitzingen gegründet.
Heute markiert ein rotes Band den Turm am Landratsamt, wo einst der Schleier gelandet sein soll. Das Spiel mit dem Zufall steht dabei als Installation für den Ausgangspunkt der Stadtgeschichte sowie für den Beginn des szenografischen Parcours. Das rote Band taucht an einem halbrunden, vier Meter hohen Pavillon auf der Alten Mainbrücke wieder auf und zieht sich in einem scheinbar willkürlichen Muster über das Stahlgerüst, das sich über dem Balkon der Brücke befindet. Die Inszenierung soll die Besucher auffordern, eigene Entscheidungen zu hinterfragen und sich darüber bewusst zu werden, wie oft der Zufall im eigenen Leben eine wesentliche Rolle spielt.
Eine visuelle Überleitung zur Station Lass Dich fallen erfolgt bereits beim Überqueren der Brücke: Hier wurde ein drei Meter breiter Schleier zwischen vorhandenen Punkten wie Straßenlaternen und Bäumen gespannt, um sich 100 Meter am Ufer des Mains entlang zu winden. An diesem Ort wurden einst Laken zum Trocknen aufgehängt. Heute soll die Fernwirkung eine ähnliche Anmutung vermitteln. Der Verlauf des Schleiers veranschaulicht dabei den Moment zwischen Fall und Landung. Er blockiert den Weg und soll zum Innehalten und Interagieren anregen. Der Wind als Akteur der Geschichte ist am Ort präsent und erschafft immerfort neue Formen mit dem elastischen Material. So werden kleine Räume und neue Blickwinkel auf die gegenüberliegende Stadt kreiert. Die Materialität des halbtransparenten Schleiers gibt dabei nicht alles auf den ersten Blick preis.
Auf der anderen Seite des Ufers machen Lichtreflexe der Arbeit Wir auf sich aufmerksam. Am Platz vor der Synagoge befinden sich zwei große ineinandergreifende Dreiecke in deren begehbarem Zwischenraum auditive und visuelle Erfahrungen gemacht werden können. Hierfür wurden Betonpfeiler mit bunt reflektierendem Vogelabwehrband linear bespannt, um die Umrisse der Stadt zu markieren, die sich im 13. bis 15. Jahrhundert aus einem dreieckigen Grundriss entwickelte. Die Arbeit widmet sich der Bedeutung der Synagoge als Ort für Handel und lebhaften Austausch. Im bunten Band soll dabei die Vielfalt sowie das neue Selbstgefühl Kitzingens widergespiegelt werden.
Die Installation Was bringt Dich hierher? beschäftigt sich wiederum – abgeleitet von der Hadeloga-Sage – mit dieser aktuell relevanten Frage. Eine mobile Ausstellungsvitrine aus alten Fenstern verwandelt dabei persönliche Dinge der Bewohner Kitzingens, die sonst hinter Gardinen versteckt sind, in Exponate. Die Frage nach dem Grund, seinen Lebensmittelpunkt an diesen Ort zu legen, kann auf Postkarten mit Worten oder kleinen Aufklebern beantwortet werden. Jene werden anschließend im Ausstellungswagen gesammelt oder beleben darüber hinaus das Schaufenster eines Leerstands am Königsplatz mit den individuellen Gründungsgeschichten.
Unter Low-Budget-Bedingungen realisierten die Studierenden die Umsetzung eigenhändig mit Unterstützung der Agentur Kulturgold, des Studiengangs Bühnenbild_Szenischer Raum und der Stadt Kitzingen. Dabei kam es bereits in der Aufbauwoche zu einem regen Austausch zwischen interessierten Passanten und den Beteiligten der TU Berlin. Am Eröffnungswochenende setzte sich dieser in persönlichen Führungen fort. Nach einer aufbauerschwerenden Hitzewelle zog direkt nach dem Eröffnungswochenende leider ein schweres Unwetter über den auf sechs Wochen angesetzten Parcours. Es richtete so großen Schaden an, dass in Anbetracht der Ausgangslage ein Wiederaufbau von drei zerstörten Installationen nicht möglich war. Der Fensterkasten mit den persönlichen Ausstellungsobjekten wird jedoch noch eine zeitlang in der Stadt zu finden sein. So können sich Besucher weiterhin am Geschichtenerzählen beteiligen oder die kleine Ausstellung im Schaufenster des Leerstands begutachten. Das Projekt „Von edler Art“ im Landkreis Kitzingen wird in den kommenden Jahren mit den regionalspezifischen Themen „Gartenzeichen“, „Wasserzeichen“ und „Weinzeichen“ fortgesetzt und hoffentlich von gemäßigteren Wettererscheinungen begleitet.