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Ausstellungsgestaltung

„Urwald“ im Naturkundemuseum Karlsruhe

POSTED 12.02.2014
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In ihrem Diplomprojekt „Urwald“ hinterfragt die Karlsruher HfG-Absolventin Michaela Boschert auf provokante Weise die Institution Naturkundemuseum innerhalb ihrer eigenen Mauern.

von Anne Horny

Dicht zusammen gerückte Vitrinen aller Couleur, minimalistisch bestückt mit Skurrilitäten des Museumsarchivs, Profan-Alltäglichem oder schlicht leer–sich selbst ausstellend–Der Szenografin Michaela Boschert ist es gelungen in der ansonsten ironiefreien Umgebung des Naturkundemuseums einen begehbaren Essay zu gestalten, der als intelligenter Kommentar zu unseren Sehgewohnheiten im Museum der Naturalia überrascht. Das Naturkundemuseum ist heute ein letzter unangefochtener Zufluchtsort der ältesten aller Displayarchitekturen: der Vitrine. Das Schaukastenprinzip ist mehr als nur ein formales Überbleibsel aus Zeiten bevor es Ausstellungsgestaltung gab. Die Vitrine ist ein Seh-Instrument, das auf wissenschaftliche Durchdringung einerseits, und auf Aufwertung des darin befindlichen Objekts andererseits, angelegt ist. Angesichts zeitgenössischer Möglichkeiten der Ausstellungsgestaltung trägt die naiv-selbstverständliche Haltung mit der die Vitrine wissenschaftliche Objektivität suggerieren möchte und gleichzeitig eine Auratisierung des Objekts vornimmt, manchmal skurrile Züge. Nachdem der Besucher Boscherts augenzwinkerndes Kuriositätenkabinett durchwandert hat, springt die Illusionshaftigkeit und Harmlosigkeit der ausgestopften Vitrinen-Realitäten umso schmerzhafter ins Auge. Was wollen wir überhaupt, wenn wir ins Naturkundemuseum gehen? Dieser Frage können wir nun nicht mehr ausweichen.

 „Boschert gibt dem Museum seine Funktion als Schule des Befremdens zurück.“

Boscherts sezierender Blick nimmt die impliziten Ideologien des Naturkundemuseums selbst unter die Lupe und entwirft eine Gegenästhetik, die als unaufgeräumtes Archiv ein Hinweis auf die Temporalität und Instabilität jeder wissenschaftlichen Erkenntnis ist. Gegen die Zähmung der Bestie in Form von ausgestopften Kadavern rebelliert Boschert mit lebendigsten Insektenkolonien, die den meisten Besuchern einen Ekelschauer über den Rücken jagen dürften. Die Verdrängung des Banalen und Angst einflößenden zugunsten der Verniedlichung der Natur durch illusionäre Ideallandschaften wird in diesem Ausstellungsrundgang etwa durch eine abgeklebte Vitrine entgegen gearbeitet, die mit winzigen Sehschlitzen unsere Aufmerksamkeit geradewegs auf die blutverschmierte Schnauze eines Eisbären lenkt, der zum Zeitpunkt seiner Tötung im Begriff war eine Robbe zu verspeisen. Eben jene angenagte Robbe musste auf Beschwerde einer Besucherin aus der Dauerausstellung entfernt werden. Um eine simple Entzauberung der Natur geht es Boschert mit ihren allzu realen Ausstellungsstücken aber nicht– im Gegenteil. Sie gibt dem Museum seine Funktion als Schule des Befremdens zurück und ermöglicht durch die bestechende Ästhetik ihrer minimalistischen Gestaltung sogar eine Art Wiederverzauberung im Sinne früherer Naturalienkabinette, aber nicht ohne uns immer wieder unsere unsinnige Sehnsucht nach dem Reinen, Schönen und Beherrschbaren vorzuführen.

„Die Fragwürdigkeit und Omnipräsenz unserer domestizierten Natur-Sehnsucht ist der finale Kommentar.“

Jenseits spektakulärer Inszenierung oder romantischer Verklärung der Natur, mit einem nüchternen und zuweilen poetischen Blick auf das Verhältnis Mensch/Tier wird Beobachtung im tatsächlichen Sinn zur primären Ausstellungserfahrung. Schlichte Konfrontation mit dem Fremden birgt eine Erfahrungsqualität, die zwar langsam erspürt werden muss, eröffnet aber die Chance der Erkenntnis, dass Fremdheit und Schönheit durchaus miteinander korrespondieren können. Eine Qualität, die das Naturkundemuseum im Unterschied zum forschungs-und zukunftsorientierten Science-Center zur Grundlage seiner Existenzberechtigung machen könnte. Wie sich der Mensch Natur und Kreatur annähern kann, dafür gibt es keine pauschale Antwort. Michaela Boschert hat eine überzeugende Form gefunden, die sich jenseits altbekannter Klischeebilder des Romantisch-Naturhaften oder vermeintlicher wissenschaftlicher Objektivität bewegt und eine neue ästhetische Qualität des Banalen zelebriert. Als finalen Kommentar auf die Fragwürdigkeit und Omnipräsenz unserer domestizierten Natur-Sehnsucht präsentiert uns Boschert das letzte Ausstellungsstück, einen Air Wick-Raumduftspender mit dem vielsagenden Namen „Himmelsfrische“ und entlässt uns damit aus ihrem Parcours des Befremdens in die nunmehr umso trostlosere Realität des ganz normalen Naturkundemuseums.

FACTS

Projekt:

„Urwald“, Sonderausstellung im Naturkundemuseum Karlsruhe

Umsetzung:

Michaela Boschert

Standort:

Zeitrahmen:

bis 13.02.2014