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Markenwelten

SHOP TILL YOU DROP! VISUAL MOMENTISING – WIE INSTAGRAM DEN RETAIL BEEINFLUSST

POSTED 22.08.2018
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Aktuell lassen sich unter dem Hashtag #retail auf Instagram fast vier Millionen Beiträge finden – ein buntes Gemisch aus mehr oder weniger professionell zusammengestellten Waren, die zum Verkauf stehen, mehr oder weniger scharfen Bildern aus Umkleidekabinen und Momentaufnahmen von mehr oder weniger geschickt zusammengestellten Accessoires, die zusammen mit dem Shop eine zum Konsum verführende Einheit bilden. Angenommen diese Bilder entstehen nicht mehr nur allein durch Zufall und werden aus der Hüfte geschossen – welches Potential würden sie wohl entfalten? Und welche Macht hätte dann ein „instagramtauglicher Retail“?

 

von Janina Poesch

 

Instagram scheint das Allheilmittel des großen und kleinen Einzelhandels zu sein: Für viele Lifestyle-Unternehmen ist die Foto-App zu einem wichtigen Marketing-Kanal geworden, denn hier können sie auf große Reichweiten bei jungen Zielgruppen hoffen. Weltweit vereint das soziale Netzwerk offiziell etwa 700 Millionen User – wobei Instagram rasant wächst und allein in Deutschland bis 2021 16,3 Millionen Nutzer erwartet werden. Kein Wunder also, dass sich immer mehr Marketing-Verantwortliche Gedanken darüber machen, wie sie den Online-Dienst optimal und vor allem gewinnbringend nutzen können.

 

Create Stories, not Stores!

Natürlich geht es auch hier vorwiegend darum, Geschichten zu erzählen, damit Klicks zu generieren und vom launischen Algorithmus zu profitieren, der die Bekanntheit steigern und die eigenen Produkte pushen soll. Das ist mühselig, nicht immer nachvollziehbar – wer kann schon diesen Algorithmus beeinflussen? – und kann mitunter auch sehr teuer werden, wenn für Anzeigen Geld ausgeben und das System des „Engagements“ (Likes, Views oder Kommentare) damit umgangen wird. Umso besser, wenn die Kunden selbst zum Smartphone greifen und das virale Karussell anstoßen. Je mehr Follower sie haben, desto größer die Wahrscheinlichkeit, gesehen zu werden. Wird dieses Ziel professionell verfolgt, muss der Raum, in dem sich die Ware befindet – also die Kulisse – dementsprechend gestaltet sein: Ist das Licht blendfrei? Funktioniert die Wandgestaltung als Hintergrund? Ist die Dekoration stimmig angeordnet? Ist die Umkleidekabine groß genug für den Selfie-Stick? Und am wichtigsten: Gibt es im Laden WLAN? Klingt irgendwie grotesk? Mag sein, aber weltweite Konzepte beweisen: Diese Herangehensweise scheint offensichtlich von Erfolg gekrönt zu sein.

Eines der besten Beispiele für diesen Trend ist der New Yorker Shop Story. Bereits 2011 von Rachel Shechtman gegründet, zeichnet sich der 2.000 Quadratmeter große Raum in Manhattans 10th Avenue dadurch aus, dass er die „Sichtweise eines Magazins besitzt, sich wie eine Galerie verändert und Dinge wie ein Laden verkauft“. Das heißt, alle vier bis acht Wochen erfindet sich die Marke, das Angebot und damit auch die Umgebung neu, um pulsierenden Themen und Trends nachgehen zu können. Das Konzept wurde schon oft prämiert und stellt an sich vielleicht keine absolute Innovation mehr da, wären da nicht die unzähligen Kunden und Fans, die regelmäßig zu den Events wiederkehren, um unter dem Hashtag #thisisstory ihre selbst geschossenen Bilder auf Instagram zu posten und so für mehr Bekanntheit zu sorgen – für die eigene genauso wie für die des Retailers. Dabei haben – gerade in Zeiten, in denen der stationäre Handel vielmehr als „Freizeitort und nicht mehr als Versorgungseinheit“* gesehen wird – wiederkehrende Kunden nicht nur in der digitalen Welt einen enormen Wert.

Gewiss: Das Visual Merchandising und sich verändernde Präsentationsflächen waren schon immer wesentlicher Bestandteil des Einzelhandels. Momentan scheint jedoch das „Visual Momentising“ den Markt zu beherrschen: Kunden geht es vielmehr darum, den für sie „perfekten Moment“ zu kreieren, ihn festzuhalten und dann online zu verbreiten. Das bedeutet, dass der Einzelhandel zukünftig immer häufiger so konzipiert werden wird, dass er durch das Objektiv der Smartphone-Kamera betrachtet werden kann. Das ist auch den Gestaltern dieser Räumlichkeiten bewusst und es ist kein Geheimnis mehr, dass Architekten und Innenarchitekten bereits beim Briefing aufgefordert werden, mit ihren Konzepten instagramtaugliche Momente zu forcieren.

Nadine Frommer und Christoph Stelzer von der Stuttgarter Agentur DFROST wissen um die Thematik: „Klickzahlen werden zum Gradmesser von Erfolg, Beliebtheit und Einfluss. Die Resonanz, die ein einziges Bild auszulösen vermag, ist enorm.“ Und sie fügen ergänzend hinzu: „Mittlerweile steht der stationäre Handel immer mehr vor der Herausforderung, Lifestyle-Welten zu schaffen – es geht um Sehnsüchte und Wunschszenarien und gerade auf der emotionalisierten Verkaufsfläche spielen visuelle Trends eine entscheidende Rolle. Der Kunde stellt aber nicht nur hohe Anforderungen an die Qualität, sondern auch an die Frequenz optischer Eindrücke. So führt die Schnelllebigkeit der sozialen Medien auch zu einer Beschleunigung der Inszenierungen im Geschäft sowie im Schaufenster. Diese Erwartungshaltung der Kunden an schnelle Wechsel und immer neue Bilder müssen die Verantwortlichen der Ladengestaltung und Wareninszenierung heute bedienen. Die Kunst ist also, zu erkennen, was die Aufmerksamkeit der Zielgruppe weckt: was ihre derzeitigen Wünsche, Träume und Bedürfnisse sind – die alte, immerwährende Geschichte also. Wenn wir das herausgefunden haben, sind Instagram-Momente lenkbar: mit Markenidentitäten, um die richtigen Inhalte zu kreieren, sowie mit einem entsprechend instagramtauglichen Ladenkonzept. So können regelrechte Instagram-Paradiese entstehen – mit gehypten Motiven wie zum Beispiel ausgefallene Wanddekorationen, kunstvolle Installationen oder ausgewählte Accessoires. Farblich sortierte Kleiderstangen, Spiegelflächen, schicke Außenfassaden und Schaufenster sind neben coolen Kunstobjekten und zeitgeistigen Lounge-Möbeln ebenfalls beliebte Foto-Requisiten. Gut gemacht ist das Resultat dann nicht einfach nur ein nichtssagendes Selfie, sondern ein Bild, das zahlreiche Informationen zu Geschäft, Marke und Produkten liefert. Aus Hashtag sowie Ortsangaben und Bildunterschriften lässt sich weiteres wertvolles Hintergrundwissen ziehen. Im Gegensatz zu gezielten und zumeist teuer bezahlten Kooperationen mit Influencern sind diese Fotos authentische Zugeständnisse an die Marke, die auch als solche wahrgenommen werden. Am Ende geht es also darum, den Laden zu einem einzigartigen Ort zu machen: Kunden müssen ermutigt werden, in individuelle Lifestyle-Szenarien mit unverwechselbarer Ästhetik einzutauchen. Shopping wird so zum immersiven Erlebnis. Uns ist klar: Die aktuellen Entwicklungen sind auf jeden Fall eine Herausforderung, aber auch eine riesige Chance. In jedem Fall verlangen sie nach einer intensiven Auseinandersetzung mit den Kunden. Oberste Maxime bleibt jedoch, dass die Gestaltung einer Verkaufsfläche die Marke in allen Facetten widerspiegelt und optimal in Szene setzt – Digitalisierung inbegriffen. Dabei kommt es nicht darauf an, Räume für soziale Netzwerke zu gestalten, sondern vielmehr Räume für die Entfaltung von Kundenbedürfnissen zu schaffen.“

 

Act real, not just digital!

Wer als Händler also optisch attraktiv genug ist, um auf Instagram Beachtung zu finden, hat gute Chancen, um das Herz bzw. das Smartphone seiner Zielgruppe zu erobern und seinen Umsatz wesentlich zu steigern. Wer als Architekt bzw. Innenarchitekt diese Entwicklung mitgestalten will, sollte selbst mit innovativen und inspirierenden Ideen aufwarten, die aus einem herkömmlichen Laden eine Bühne machen – für Marke, Ware und Menschen. Und wer als Kunde sowohl real als auch digital an diesen Welten begeistert teilhaben möchte, geht einfach in den nächsten Shop – kauft am besten auch gleich etwas ein! –, nimmt sein Smartphone in die Hand und postet unter dem Hashtag #retail emotionale Bilder, die andere animieren, ihr oder ihm gleich zu tun – womit der stationäre Handel wohlmöglich auch wieder aus der Krise geholt werden könnte …

 

Weitere Beiträge aus unserer Retail-Reihe finden Sie hier: SHOP TILL YOU DROP! Inszenierungen im Warenraum – Wie und wo wir in Zukunft einkaufen werden.

Und wie Instagram währenddessen das Museum beeinflusst, haben unsere Kollegen von MusErMeKu hier sehr gut zusammengefast. Die passenden Beispiele gibt’s hier gleich dazu …

 

* www.zukunftdeseinkaufens.de

FACTS

Fotos:

Ulrich Schaarschmidt, Hamburg (DE) > www.ulrichschaarschmidt.com