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Interviews

MATTHIAS KINDLER ÜBER DAS DRINGEND NOTWENDIGE UMDENKEN IN DER EVENT-BRANCHE

POSTED 03.07.2017
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„Gute Events passen nur ein einziges Mal, nur zu einem Anlass und nur zu einem Gastgeber. Wenn sie stimmig konzipiert sind, vermitteln sie eine klare Botschaft, die haften bleibt.“

 

Matthias Kindler gehört zu den profiliertesten Experten für Live-Kommunikation und Event-Marketing in Deutschland. Er ist international gefragter Redner, Berater und Autor, hochdekorierter Kreativer sowie einer der erfahrensten Juroren im Bereich Markeninszenierungen. 2016 hat er nun sein erstes Buch veröffentlicht: Mit Currywurst auf Haifischfang – 12 steinerne Regeln für wirkungsvolle Events“. Mit diesem Nachschlagewerk möchte er nicht nur Event-Managern helfen, professionelle Veranstaltungen besser zu gestalten, sondern vor allem eine Anleitung zum Umdenken in der Event-Branche geben. Als Autoren des Eventdesign Jahrbuchs wissen wir: Das ist dringend nötig und haben uns mit Matthias Kindler ausführlich unterhalten, dem es mit dieser Publikation gelingt, offene und ehrliche Worte zu finden, die nicht nur lehrreich sind, sondern einen auch zum Schmunzeln bringen …


Die Fragen stellte Janina Poesch.

 

Matthias Kindler, mit Deinem neuen Buch möchtest Du eine „Anleitung zum Umdenken“ geben. Wieso bist Du der Meinung, dass die Event-Branche überhaupt neu gedacht werden muss?

Events werden noch immer als logistische Aufgabe verstanden. Scheinbar gottgegebene Abläufe – vom Get-together über die Begrüßungsrede zum „emotionalen Show Act“ und Absacker an der Bar – werden in der immer gleichen Abfolge aneinandergereiht. Ich nenne diese Art von „Dramaturgie“ gerne „Perlenkette“. Dabei lassen Perlenketten nur wenig Spielraum für Ideen oder Veränderungen. Events müssen heutzutage aber als Kommunikationsmaßnahmen begriffen werden, die den Teilnehmern sinnstiftende Erlebnisse bieten.

 

Du gehst dabei sehr offensiv vor und schreibst, dass Events Missverständnisse und Kommunikationsprobleme sind. Inwiefern sind sie das?

Events werden fast immer aus der Perspektive des Veranstalters gedacht: „Was möchten wir denn alles sagen, zeigen, unterbringen?“ Kaum jemand macht sich Gedanken darüber, was die Event-Teilnehmer erleben wollen. Aber nur wer sich Gedanken über Einstellungen, Erfahrungen und Erwartungen seiner Gäste macht, kann zielgerichtete und wirksame Konzepte entwickeln!

 

Anhand von zwölf Thesen gibst Du den Lesern das Versprechen, dass sie lernen können, wie erfolgreiche Events konzeptioniert werden. Welche dieser Thesen empfindest Du als die wertvollste bzw. wichtigste?

Ich muss mich für eine Regel entscheiden? Wenn Du wüsstest, wie viele Gedanken und wie viel Herzblut in jede einzelne geflossen sind … Aber gut, ich nehme Nummer 12: „Gute Events entstehen durch Umdenken und methodisches Vorgehen“. Da stecken zwei ganz entscheidende Punkte drin. Erstens: Umdenken! Nur wenn man seine Sichtweise auf Events überdenkt, wird sich auch etwas verändern. Denn es geht bei Events nicht um Anlässe, sondern um Ziele. Es geht nicht um perfekte Logistik, sondern um echte Erlebnisse. Zweitens: Man braucht die richtige Methode, um regelmäßig und zuverlässig auf gute Ideen zu kommen. Ohne diese Methode – „die Allmächtigen Acht“ – hätten wir niemals 50 Kreativpreise für unsere Projekte und Kunden gewinnen können.

 

Und wenn Du diese steinernen Regeln um eine dreizehnte ergänzen könntest, welche wäre das?

„Seien Sie mutig bei Ihren Ideen, seien Sie leidenschaftlich bei deren Umsetzung.“ An der Formulierung würde ich aber gerne noch ein paar Tage feilen, bevor es Regel 13 wird.

 

Hin und wieder kommt durch, dass Du eigentlich eine Abneigung gegenüber dem Wort „Event“ hast. Wie kam es dazu?

Jeder Kindergeburtstag ist heute ein „Event“. Und bei der Eventisierung unseres Alltags kann einem manchmal angst und bange werden. Der „Event-Manager“ ist nicht erst seit ERGO, weißen Bändchen und Bundespräsident a.D. Christian Wulff beinahe zum Schimpfwort geworden. Das Wort klingt halbseiden – nach Champagner, Spaß und Promis. Damit hat unsere Arbeit aber wenig zu tun! Selbst unter Kreativen sind „Eventler“ die Schmuddelkinder, die gefragt werden, wenn ein guter Caterer gesucht wird. Das ist grundfalsch! Eigentlich sind Events die Königsdisziplin der Kommunikation, denn nirgendwo sonst muss für fünf Sinne in vier Dimensionen ein gutes Konzept gefunden werden.

 

Sollten denn mehr Gestalter in die Planung von Events einbezogen werden? Welche Rolle spielt Deiner Meinung nach der Raum?

Unbedingt! Allerdings sind Gestalter für mich nicht nur Architekten oder Designer. Wenn jene das alleine machen würden, sähe ein Event zwar in der Regel sehr chic aus, funktionieren würde es aber trotzdem nicht. In der klassischen Werbung gibt es demnach aus gutem Grund und seit Ewigkeiten das Zweierteam aus Texter und Art-Direktor. So muss es auch bei Events sein: Konzeptioner und Gestalter arbeiten Hand in Hand – dann wird es großartig.

 

Du bist der Ansicht, gute Events funktionieren nur einmal. Was macht ein gutes, einmaliges Event Deiner Meinung nach aus?

Markenbezug und Maßarbeit. Gute Events passen nur ein einziges Mal, nur zu einem Anlass und nur zu einem Gastgeber. Wenn sie stimmig konzipiert sind, vermitteln sie eine klare Botschaft, die haften bleibt.

 

Welche Trends bestimmen denn aktuell die Event-Branche?

Mit Trends ist das so eine Sache. Der eine hält Event-Apps für einen Trend, ein anderer Live Cooking – und da ist sie wieder: die logistische Prägung der Branche. Wir versuchen in unseren Seminaren eine Ebene höher zu zielen. Bei „Technik“ geht es doch nicht um Technik an sich, sondern darum, was sie bewirkt: Zum Beispiel kann sie Sachverhalte oder Produkte auf Arten erklären, die bisher nicht möglich waren oder Menschen einfacher bzw. effektiver miteinander verbinden. Außerdem beschäftigen wir uns mit „Zielen statt Zirkus“, „Geschichten erzählen“ und „Events, die tatsächlich alle Sinne ansprechen“. Insgesamt haben wir so acht Mega-Trends identifiziert, die wir anhand von 50 internationalen Beispielen illustrieren.

 

Wenn wir bei den Event-Apps, Technik und der allgemein vorherrschenden Digitalisierung bleiben: Wo siehst Du Chancen und Gefahren bzw. Entwicklungspotenziale?

Ganz ehrlich: Bei diesem Thema muss ich erst einmal tief Luft holen. Heilsbringer, Dämon – es ist immer alles dabei. Am Ende ist „Digitalisierung“ auch nur ein Aggregatszustand – ein toller, ein disruptiver, einer, der vieles möglich macht. Genauso wie das Fernsehen, die Dampfmaschine oder die Teflonpfanne wird er unser Leben verändern. Die wirklich grundlegenden Dinge hingegen verändern sich aber nicht. Bei Events geht es um Begegnungen, um die Sinne und um Erlebnisse. Das kann analog sein, das kann digital sein. Egal was und in welcher Kombination – Hauptsache, es wird ein Ziel verfolgt!

 

Wie glaubst Du, wird sich die Event-Branche zukünftig entwickeln? Wird es wirklich ein Umdenken geben?

Ja, das wird kommen – und ich hoffe sehr, dass ich das noch erleben werde! So wie wir heute arbeiten sind wir event-evolutionär am Ende angekommen. Mehr geht nicht: Es ist alles perfekt organisiert und auf diesem Level können wir uns nur kaum steigern. Es muss also endlich um Ziele, um Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit und Erlebnisse gehen. Ich vergleiche das gern mit dem Theater – die Urgroßmutter der Events: „Romeo und Julia“ wird schon seit 100 Jahren fehlerfrei und ansprechend aufgeführt. Das reicht nicht mehr: Heute müssen wir einen neuen Weg finden, wie wir den Stoff inszenieren – egal, ob im Theater oder auf der Führungskräftekonferenz. Events, die nichts verändern sind Zeit- und Geldverschwendung. Übrigens Regel Nummer 3.

 

Was wünschst Du Dir vom Nachwuchs bzw. von deren Ausbildung?

Oha. Zuerst große Sorgfalt bei der Wahl ihrer Ausbildungsstätte: Was an den meisten privaten Fachhochschulen vermittelt wird, ist oft hanebüchen. Ex-Agentur- Inhaber vermitteln das Eventverständnis der 1980er-Jahre und fachfremde BWL-Professoren ohne Praxiserfahrung greifen bei ihren „Forschungsschwerpunkten“ regelmäßig daneben oder zu kurz. Die wissenschaftliche Qualität der Bachelor-Arbeiten, die ich unterstützen oder bewerten helfen soll, ist häufig schlicht unterirdisch.
Aber: Schaum abwischen. Wir brauchen zu allererst die Erkenntnis, dass auch Events arbeitsteilige Prozesse sind. Wir benötigen deshalb mindestens zwei Ausbildungsgänge: eine „generalistische“ Konzeptioner-Ausbildung und den bestens vorbereiteten Event-Manager, der auch etwas von Markenführung versteht.

 

Mit Deiner Masterclass „Event & Marketing“ konntest Du bereits selbst über 1.500 Event-Managern Dein Fachwissen in Form von Lehrgängen, Workshops und Seminaren weitergeben. Welche Aha-Erlebnisse können Deine Absolventen hier mitnehmen?

Hoffentlich vieles von dem, was ich hier gerade geschildert habe. Da fast alle immer wieder zu uns kommen (im Durchschnitt etwa vier Mal), gehe ich davon aus, dass unsere Mischung aus fundiertem Hinterfragen und Anleitung zum Umdenken gewürzt mit vielen Praxistipps den Teilnehmern tatsächlich einen hohen Mehrwert bietet.

 

In dem hier angesiedelten Blog bist Du sehr offen, ehrlich und vor allem auch sehr kritisch. Du nimmst kein Blatt vor den Mund. Gibt es etwas, dass Du an dieser Stelle genauso offen und ehrlich unseren Lesern für ihre eigene Arbeit mitgeben möchtest?

Brechen Sie mit Ihren Routinen, schwimmen Sie sich frei, trauen Sie sich mehr. Event-Manager kann der beste Job der Welt sein, Sie müssen ihn jedoch dazu machen!


Matthias Kindler, vielen Dank für das offene Gespräch!

 

Zur Person

Matthias Kindler, Jahrgang 1963, studierte BWL in Deutschland und den USA und gründete 1994 THE KINDLER COMPANY – eine auf strategische Markeninszenierung spezialisierte Agentur, mit der er die Event-Branche entscheidend mitgestalten und kreativ prägen konnte. Seit 2009 ist der Wahlmünchner beratend tätig und beurteilt weltweit als Juror die Qualität von Events. 2011 gründete er zudem die Masterclass „Event & Marketing“, in der sich bisher über 1.500 Event-Manager aus mehr als 200 Unternehmen weitergebildet haben.

FACTS

Kontakt:

Matthias Kindler, München (DE) > www.matthiaskindler.com

Fotos:

Michael Namberger, Altenmarkt (DE) > www.berg12.de