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SHOP TILL YOU DROP! Retail, Etail, Hybridtail: Die Verschmelzung der Handelskanäle

POSTED 18.02.2015
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Mit Online-Shops Schritt zu halten, ist für den stationären Handel nicht immer ganz einfach. Besonders dann, wenn einem der digitale Marktbegleiter das physisch-heimische Terrain streitig macht und die Fußgängerzonen für sich neu entdeckt. Dementsprechend ist die Digitalisierung im stationären Handel derzeit in einer entscheidenden Phase und den sogenannten „Brick and Mortar“-Händlern mit klassischen Ladengeschäften bietet sich aktuell die Chance, gegenüber ihren Web-Konkurrenten aufzuholen. Für eine gelungene, wirksame Einbindung „phygitaler“ Funktionen ist also Kreativität gefragt. Dass dabei viele Wege zum hybriden Shop führen, in welchem die Grenzen zwischen stationärem, Online- und mobilem Handel verschwimmen, zeigen aktuelle Projekte.

von Anna Bühling

Persönliche Beratung sowie die Möglichkeit, Produkte zu berühren, zu riechen, sie an- oder auszuprobieren – kurzum: sie umfassend kennenzulernen – das sind die typischen Merkmale des stationären Handels. Dabei ermöglicht ein physisches Ladengeschäft mit der richtigen räumlichen Inszenierung zudem ein emotionales Einkaufserlebnis, wie es in einem Web-Shop kaum möglich ist. Jedoch lauert in diesem Umstand einerseits die Gefahr des sogenannten „Showroom-Stagings“, bei welchem die Kunden die Möglichkeiten des stationären Handels nutzen, um sich zu informieren, aber anschließend doch lieber im Internet günstiger einkaufen. Andererseits bietet sich dem stationären Handel gerade aber auch eine große Chance, zu den elektronischen Wettbewerbern aufzuschließen und ihre Ladengeschäfte um Funktionen zu erweitern, mit denen auch die digitale Käuferschicht erreicht wird.
Zumal die Zahlen immer noch für ein Standbein in der Fußgängerzone sprechen. Denn obwohl laut einer repräsentativen Umfrage der Reichweiten-Agentur TESTROOM rund 98% der Internetnutzer ab 14 Jahren – das entspricht etwa 55,6 Millionen Menschen – 2014 in Deutschland Produkte im World Wide Web eingekauft haben, werden immer noch 80 bis 90% des Umsatzes im stationären Handel erzielt. Es ist also nicht besonders überraschend, dass auch große Online-Händler zunehmend Druck verspüren, neue Strategien für analoge Kommunikations- und Vertriebskanäle zu entwickeln und dementsprechend Wege in den stationären Handel suchen.

Nahtlose Einkaufserlebnisse über alle Kanäle

Rechtzeitig zu Weihnachten 2014 stellte sich dieser Herausforderung auch eBay. Der Etailer – so die Bezeichnung für Online-Einzelhändler, abgeleitet von electronic Retailer – ist zur Saison des Schenkens mit Teilen seines Angebots offline gegangen: Ende 2014 eröffnete eBay Deutschland im Bremer Weserpark einen von HPP Architekten Düsseldorf gestalteten Pop-up-Store mit 200 Quadratmetern Verkaufsfläche. Neben der tatsächlichen Verkaufsfunktion war „The Inspiration Store“ ein Retail-Lab, in dem eBay und seine Partner PayPal sowie die METRO GROUP Konzepte für den Handel der Zukunft testeten. Dabei verwoben die drei Unternehmen die Möglichkeiten des stationären Handels mit denen des Online- und mobilen Handels, um wertvolle Ergebnisse für künftige Strategien im Omnichannel-Retailing – eine Weiterentwicklung des Multichannel-Retailings, mit welchem den Kunden mehrere Absatz- und Informationskanäle angeboten werden – zu gewinnen.
Demnach waren hier diverse phygitale Möglichkeiten vereint: Elektronische Preisschilder gaben Auskunft über den Händler. Mittels QR-Codes und lokalem WLAN konnten sich die Kunden anhand ihrer mobilen Endgeräte im Internet detaillierte Informationen über die Produkte einholen. Und die Einkaufsmöglichkeiten wurden durch interaktive Shopping-Walls inner- und außerhalb der Ladenfläche erweitert. Auch der Online-Einkauf war möglich – sei es vom heimischen Computer, über Smartphones oder die im Shop integrierten Tablet-PCs. Von „Click and Collect“ bis hin zum Kauf im Laden mit Lieferung nach Hause war im „The Inspiration Store“ also alles denkbar. Bei Bekleidungsartikeln erleichterten zudem digitale Spiegel die Auswahl und durch eingebaute Kameras wurde den Verbrauchern ermöglicht, Fotos und Videos mit Freunden zu teilen und so die Qual der Wahl zum sozialen Ereignis zu machen. Das Bezahlen funktionierte neben der herkömmlichen Bar- und Kartenzahlung auch mobil über die PayPal-Eincheck-Funktion, bei welcher der Konsument mit seinem PayPal-Konto inklusiv Profilbild in das Geschäft einchecken kann und der Händler den Bezahlvorgang dann mit einem Klick auf das entsprechende Portrait auslöst.

Ein Beispiel für den Mehrkanal-Handel ist das Online-Start-up mymuesli, das bereits seit 2012 auch in Ladenlokalen in zahlreichen größeren Städten seine Müsli-Kreationen vertreibt. Bei der Entscheidung für die Fußgängerzonen hat dabei sicherlich die Tatsache eine große Rolle gespielt, dass der Großteil der Deutschen beim Kauf von Lebensmitteln den stationären Handel derzeit immer noch deutlich bevorzugt. Mit Webseite, Online-Shop, Ladenlokalen und Social-Media-Kanälen bietet mymuesli somit eine Omnichannel-Präsenz und mit „Click and Collect“ die Möglichkeit, Waren im Web-Shop zu kaufen und sie im Ladengeschäft abzuholen – quasi eine Kreuzung zwischen online und offline. Dennoch handelt es sich hier noch um klassisches Multichannel-Retailing, da es an multiplen, unmittelbaren Verknüpfungen der Kanäle fehlt. Genau diese Wechsel sind im Omnichannel-Retailing jedoch die Grundlage eines möglichst nahtlosen, hybriden Shopping-Erlebnisses. Denn hier können Kunden bei der Produktrecherche, dem Einkauf und dem Bezahlvorgang die angebotenen Vertriebs- und Informationskanäle je nach Bedarf an verschiedenen Zeitpunkten des Einkaufens flexibel wechseln oder sogar parallel anwenden.

Für eine gelungene Implementierung von Lösungen, die auf erfolgreiche Weise jene Kanalwechsel ermöglichen, gibt es zahlreiche Beispiele: So hat das holländische Fashionlabel Chasin’ 2013 etwa einen Flagship-Store – gestaltet von der Amsterdamer Agentur The Invisible Party – in Amsterdam eröffnet, bei dem digitale Mittel ästhetisch und schlüssig eingebunden werden: Neben „Click and Collect“ sowie „Check and Reserve“ – eine Online-Reservierung, um die Ware im Laden anzusehen – kann hier mit Hilfe des Smartphones eine Fashion-Show gestartet werden, in welcher die Kunden sich auf großen Screens aktuelle Wunsch-Looks an Models ansehen können. Auch die japanische Marke VANQUISH hatte ähnliche Ansätze: Wird hier ein Kleiderbügel von der Stange genommen, reagieren die umliegenden Displays mit Bildern von Models, die das gewählte Kleidungsstück tragen. Mit einem gewagten Pop-up-Store testete auch das Modelabel Vero Moda die Experimentierfreudigkeit seiner Kunden. Im temporären Shop im dänischen Aarhus hingen nur wenige physische Kleidungsstücke, der Fokus im Verkaufsraum lag aber vielmehr im Zweidimensionalen: In Verbindung mit einer Scan-App ermöglichten hier zahlreiche Kollektionsbilder sowie dazugehörige QR-Codes den digitalen Einkauf mit anschließender bequemer Lieferung nach Hause.

Manche der neuen „Click and Brick“-Händler, die ursprünglich aus dem Online-Bereich kommen, bringen aber auch bewährte eCommerce-Tools einfach in den stationären Handel mit: SHOEPASSION.com – früher reiner Online-Anbieter – hat inzwischen beispielsweise Stores in mehreren Städten eröffnet. Dabei wurden jene gemeinsam mit Phizzard – einem Anbieter für Multichannel-Lösungen – mit iPads ausgerüstet, die auf Grundlage von gesammelten Käuferdaten passende oder ähnliche Artikel vorschlagen. Drückt der Schuh, kommuniziert der Kunde dies digital und bekommt umgehend die richtige Größe von einem Verkäufer gebracht. Vergleichbare Leistungen sind auch mit Beacons möglich – kleine Bluetooth-Funksender, die Signale an mobile Endgeräte senden und hierdurch Kunden zu Waren lotsen, die ihrem Käuferprofil entsprechen oder sie mit Hilfe maßgeschneiderter Angebote in den Shop locken. Diese Technologie hat hinsichtlich der dauerhaft nötigen Bluetooth-Verbindung bisweilen noch Schwierigkeiten, bietet aber enormes Potenzial. Besonders interessant für den Fashion-Bereich sind dabei zum Beispiel die Mannequins von Iconeme, in welche die kleinen Sender schon integriert sind. Über eine App werden Passanten und Kunden so umfassend über die ausgestellte Ware informiert.

Online, Offline, No-Line: Einkaufserlebnis 4.0

Die Nutzung mobiler Endgeräte sowie der Wunsch nach größtmöglicher Flexibilität werden auch in Zukunft weiter zunehmen – eine Entwicklung, die zur Notwendigkeit einer ganzheitlichen Strategie beim Denken und Planen aller Vertriebs- und Kommunikationskanäle führt. Um ein ansprechendes und flüssiges Einkaufserlebnis zu bieten, werden die einzelnen Retailing-Kanäle weiter an Bedeutung gewinnen und künftig noch stärker verschmelzen. Wenn Online-Händler hierfür den analogen Kanal bespielen, bergen die damit verbundenen Kosten sowie die Konkurrenz, die im eigenen Haus geschaffen wird, ein nicht zu unterschätzendes Risiko. Andererseits bietet die momentane Phase stationären Händlern eine große Chance, im digitalen Bereich aufzuholen. Kreative Ideen und Kooperationen können dabei insbesondere für kleinere Unternehmen eine wirkungsvolle Möglichkeit in Richtung Retail 4.0 darstellen. Projekte und Ansätze, die einen ungewohnten Weg gehen, stellen wir Ihnen nach und nach im Rahmen dieser PLOT-Reihe vor.

 

Weitere Beiträge aus unserer Retail-Reihe sowie das gesammelte Glossar zur Reihe finden Sie hier: SHOP TILL YOU DROP! Inszenierungen im Warenraum – Wie und wo wir in Zukunft einkaufen werden.

FACTS

Fotos:

1, 2 eBay Inc., Kleinmachnow (DE ) > www.ebay.de
3, 4 HPP Hentrich-Petschnigg & Partner GmbH + Co. KG, Düsseldorf (DE) > www.hpp.com
5 mymuesli GmbH, Passau (DE) > www.mymuesli.com
6 – 8 BESTSELLER A/S, Brande (DK) > www.bestseller.com
9 Iconeme, London (UK) > www.iconeme.com
10 obs/TESTROOM GmbH, Hamburg (DE) > www.testroom.de