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Interviews

YVES MARCHAND ÜBER DIE INSZENIERUNG VERLASSENER RÄUME

POSTED 27.09.2016
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„Es ist interessant zu sehen, dass dieses Theater uns alle aus demselben Grund in seinen Bann zog: Es ruft dieses einzigartige Gefühl in einem hervor, in die Vergangenheit zurückversetzt zu werden.“

 

Schon mit Beginn ihrer fotografischen Karriere zeichnen sich Yves Marchand und Romain Meffre – bekannt als MarchandMeffre – durch ihre gemeinsame Vorliebe für ruinöse Motive aus: Nachdem die gebürtigen Pariser im Jahr 2010 Ruinenbilder von Detroit als gesammeltes Werk publizierten, arbeiten sie nun seit mehr als zehn Jahren an der fotografischen Dokumentation verlassener Theater in Amerika. Auch wir berichteten in PLOT#11 über eines dieser Bauwerke – das Eagle Theater in New York, das von Rainer Ganahl für das Projekt El Mundo genutzt wurde – und nehmen dies zum Anlass, nicht nur die Fotostrecke der Künstler zu publizieren, sondern auch mehr über ihre Arbeit zu erfahren.


Die Fragen stellte Elisa Eichner.

 

Yves Marchand, Sie arbeiten mit Ihrem Kollegen Romain Meffre seit über zehn Jahren als Fotografen zusammen. Wie kam es dazu?

2002 haben wir uns kennengelernt: Zu dieser Zeit begannen wir beide mit dem Fotografieren. Damals war ich gerade 21, Romain 15 Jahre alt. Wir haben uns für Ruinen interessiert und jeweils unsere eigene 35-mm-Kamera besessen. Wir fingen an, die Orte für unsere Motive gemeinsam aufzusuchen. Natürlich haben wir uns gegenseitig unterstützt, haben die Arbeit des anderen begutachtet, darüber diskutiert und Tipps ausgetauscht, was sich zu einem sehr ergänzenden Zusammenspiel entwickelte. 2005 sind wir dann für unsere erste Ausstellung nach Detroit gereist. Obwohl zu dieser Zeit jeder von uns noch mit seiner eigenen Kamera gearbeitet hatte, haben wir die Bilder des anderen signiert. Als wir dann 2006 unser Equipment auf eine 4×5-Kamera aufrüsteten – eine Großformat-Kamera – haben wir ganz selbstverständlich angefangen, nur noch mit einer Kamera zu schießen. Es war für uns der logischste und effizienteste Weg, weiterhin zusammenzuarbeiten.

 

Was inspiriert Sie an der Dokumentation von Ruinen?

Wenn wir Ruinen besichtigen, fokussieren wir uns auf die Gebäude, die durch ihre Architektur auf außergewöhnliche Weise immer noch den Geist einer vergangenen Ära verkörpern. Wir versuchen dann, diese Verwandlung zu ergründen und abzubilden. Es gibt auf der Welt kaum vergleichbare Beispiele von monumentaler Architektur wie die bemerkenswerten Theater, die überall in Amerika in einer industriellen Größenordnung errichtet worden sind. Die Bauwerke sind im pseudo-historischen Stil sehr imposant erbaut, von unterschiedlichen Kulturen inspiriert sowie beeinflusst und reflektieren eine junge amerikanische Zivilisation, welche die Verwirklichung ihrer Träume anstrebte. Schauen wir uns die Auditorien an, wird klar, dass sie dafür errichtet wurden, um zu gefallen, zu imponieren und zu verführen – schließlich bieten sie alle Luxusmotive: Kronleuchter, Balustraden sowie weitere Zeichen von modernem Reichtum und Komfort. Doch dann kam es zu einer Konfrontation dieser monumentalen Architektur aus Träumen und Fantasien mit der rasanten Entwicklung der modernen Gesellschaft, die den Theatern dramatisch schnell entwachsen ist und dafür sorgte, dass die Gebäude im wahrsten Sinne des Wortes alt aussehen.

 

Wie wurden Sie auf das Eagle Theater in New York aufmerksam?

Das Eagle Theater fanden wir auf Cinema Treasures – eine Online-Datenbank für amerikanische Theater. Hier werden alle Theater, die jemals in Amerika existiert haben, abgebildet. Das Eagle Theater haben wir 2007 besucht. Es war nicht wirklich ein Filmpalast, eher ein großes Kommunales Kino – aber es war das erste Theater, das wir sahen, das wieder in Betrieb genommen wurde. Außer einigen Malerarbeiten hat sich allerdings kaum etwas verändert.

 

Hatten Sie denn mit Rainer Ganahl, Leiter des Kunstprojekts „El Mundo“, Kontakt?

Von Rainer Ganahl hatten wir vorher noch nie gehört, bis wir erfuhren, dass er hier ein Kunstprojekt leitet. Es ist interessant zu sehen, dass dieses Theater uns alle aus demselben Grund in seinen Bann zog: Es ruft dieses einzigartige Gefühl in einem hervor, in die Vergangenheit zurückversetzt zu werden.

 

Was wollen Sie mit Ihren Bildern vermitteln?

Nachdem die Theater geschlossen wurden, waren sie praktisch sich selbst überlassen. Der wirtschaftliche, demografische und psychologische Status der damaligen Gesellschaft wurde irgendwie konserviert. Die Gebäude sind wie ein versteckter und ungepflegter Teil der Geschichte. Das ist das Gefühl, das wir über unsere Bilder transportieren wollen.

 

Das Projekt „The Ruins of Detroit“ hat fünf Jahre gedauert, am Theater-Projekt arbeiten Sie nun schon seit zehn Jahren. Wie können wir uns Ihren Arbeitsprozess vorstellen?

Zu zweit zu sein ist ein großer Vorteil bei der Arbeit über einen so langen Zeitraum. Denn die Erwartungen und die Motivation erliegen nicht den eigenen Zweifeln, sie werden vielmehr mit dem anderen ausdiskutiert und überwunden. So können wir ständig unsere Arbeit verbessern – auch über Jahre. Das Fotografen-Paar Bernd und Hilla Becher ist dabei unser Vorbild: Die beiden arbeiteten über 40 Jahre an ihren Industrielandschaften und Typologien. Bezüglich der Arbeitszeit versuchen wir immer die Balance zwischen Quantität der Bilder und Arbeitsaufwand zu finden, indem wir Serien produzieren, um am Ende ein repräsentatives Ergebnis zu erhalten, das wir auch festhalten wollen.

 

Was werden Menschen in 100 Jahren über Ihre Bilder sagen?

Was das Theater-Projekt betrifft, wünschen wir uns, dass die Menschen in 100 Jahren unsere Bilderserien anschauen und eine Vorstellung davon bekommen, wie die historischen Theatergebäude ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis 2010 zugrunde gerichtet wurden – auch wenn die zukünftige Publikation dann hoffentlich in einer viel kürzeren Zeitspanne entstanden ist …


Yves Marchand, vielen Dank für das Gespräch!

 

Zu den Personen
Yves Marchand, Jahrgang 1981, und Romain Meffre, Jahrgang 1987, sind beide gebürtige Pariser. Als Autodidakten ihrer Zunft, begannen sie unabhängig voneinander das Fotografieren im Jahr 2001 und lernten sich im folgenden Jahr kennen. Ihre gemeinsame Vorliebe für Ruinen begannen sie in Paris zu dokumentieren und weiteten mit der Zeit ihr Arbeitsumfeld auf Frankreich, Belgien, England, Spanien und Italien aus. 2005 kam der Inbegriff der Ruinenstadt hinzu: das amerikanische Detroit. 2006 folgte die erste große Ausstellung über Detroit in Paris: „The Ruins of Detroit“. Aktuell arbeiten sie noch immer an der Vervollständigung der fotografischen Theater-Dokumentation „Theaters“.


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The Ruins of Detroit

FACTS

Kontakt:

MarchandMeffre, Paris (FR) > www.marchandmeffre.com

Fotos:

MarchandMeffre, Paris (FR) > www.marchandmeffre.com