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Ausstellungsgestaltung

POLIZEIMUSEUM STUTTGART

POSTED 17.06.2016
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Was Stuttgart betrifft, muss für ortsunkundige Menschen erwähnt sein: Am Polizeipräsidium kommen Stadtbewohner nicht mal eben so vorbei. An den nördlichen Stadtweinbergen angrenzend und in einem ehemaligen Krankenhaus einquartiert, befindet es sich an einer großen Bundesstraße, an der sich Spaziergänge eher weniger lohnen. Was also im und um das Gebäude passiert, bleibt der breiten Öffentlichkeit weitestgehend verborgen. Seit Ende Februar 2015 gibt es für die Bürger jedoch einen guten Grund, sich auf den Weg dorthin zu machen: das Polizeimuseum Stuttgart.

von Elisa Eichner

Initiiert von Michael Kühner, pensionierter Polizist und Erster Vorsitzender des Polizeihistorischen Vereins Stuttgart e.V., hat genannte Institution eigens für das Vorhaben im Jahr 2007 gegründet. Er und die weiteren 250 Mitglieder dürfen sich dabei besonders engagiert nennen: Sie haben – ehrenamtlich versteht sich – 120.000 Euro gesammelt und mehr als 9.000 Arbeitsstunden investiert, um das Museum nach fast acht Jahren Planungszeit in einem alten Heizungskeller des Präsidiums zu eröffnen. Doch es fällt schwer, hier den Stempel „Marke Eigenbau“ aufzudrücken: Durch die Mitwirkung des Architekten Bernhard Abele sowie des Grafikers Lutz Eberle wurde das historische Material in einem Ausstellungskonzept ansprechend aufbereitet und wirkt daher professionell. Inhaltlich werden die Besucher durch sechs Themeninseln geführt, die in den niedrigen Räumen und Fluren des 220 Quadratmeter großen Untergeschosses angeordnet sind. Der Keller-Atmosphäre wurde entgegengewirkt, indem die Bodenfließen mit hellgrauem Epoxidharz fugenlos übergossen, Decken und Rohre weiß gestrichen und mit Platten abgedeckt sowie großflächige Fotografien und Grafiken an den Wänden umgesetzt angebracht wurden. Bei der Aufbereitung des Inhalts war es ein Anliegen Kühners, aus einer Auswahl des umfangreichen Fundus an Originalexponaten – darunter 70.000 historische Bilder, etwa 300 Ton- und Filmdokumente sowie eine Bibliothek aus mehr als 1.000 Printprodukten – die Geschichten der Stuttgarter Polizei nachvollziehbar und im gesellschaftlichen Kontext zu vermitteln. Denn damit wird gleichzeitig ein Stück Geschichte der Landeshauptstadt, deren Bürger, Beamte, Politiker und damit auch des jeweiligen kulturellen Zeitgeists abgebildet. Die Exponate sprechen jedoch nicht allein für sich: Ein Besuch im Polizeimuseum ist nur mit einer gebuchten Führung möglich, und so werden die Geschichten persönlich erzählt – unter anderem von Michael Kühner, der teilweise aus eigener Erfahrung spricht – so geschehen auch bei der Führung, der PLOT selbst beiwohnte.

Im Empfangsbereich sehen sich die Besucher gleich bei Eintritt in das Museum einer Polizeiwache aus den 1960er-Jahren gegenüber. Nicht nur, dass die Einrichtung mit Wachbüchern und Originaldokumenten ein authentisches Bild abgibt, die Exponate wie Schreibmaschine und Fernschreiber funktionieren tatsächlich noch, wie Kühner demonstriert. Dass die Ausstellungsgestalter dabei auf Details achteten, lässt sich auch an den Fenstern erkennen, die mit einer Folie beschichtet sind und eine Stuttgarter Straßenszene abbilden. Im nächsten Raum befindet sich der eigentliche Prolog: Auf allen Wänden sind Digitaldruck-Tapeten angebracht, die Fotografien historischer Szenen in Stuttgart (mit einem höheren Polizeiaufgebot) zeigen. Auch im weiteren Verlauf der Ausstellung wurde viel mit Foto-Tapete gearbeitet: Kühner spricht offen an, dass dies aus einer Kosten-Nutzen-Wirken-Perspektive heraus entstand. So können Besucher im nächsten Raum, der das Thema Straßenverkehr behandelt, eindrücklich Aufnahmen von Verkehrsunfällen begutachten – zum Glück meist in Schwarz-Weiß. Außerdem ist eine funktionierende Ampel mit manueller Schaltung, Überwachungsgeräte wie der legendäre Mülltonnen-Blitzer sowie eine echte Polizei-Harley, die Ende der 1940er-Jahre auf der Straße war, ausgestellt. Erwähnenswert ist ebenfalls die Dokumentation der Polizeiarbeit zur Zeit des Übergangs von Kutschen- zum Autoverkehr – mit einer ersten Unfallbilanz aus dem Jahr 1912.

Im folgenden Bereich zeigt sich ein ganz besonderer Teil der Stuttgarter Polizeigeschichte, der einen Schwerpunkt in der Ausstellung ausmacht: Stuttgart und die RAF. Schleyer-Entführung, Baader-Meinhof-Prozess, Aufenthalt der ersten RAF-Generation in der Justizanstalt Stammheim sowie die kollektiven Selbstmorde von Baader, Ensslin und Raspe werden anhand originaler Polizei-Berichte, Fotografien und (sehr viel) Text auf signalfarbenem Orange dargestellt. Vor allem in diesem Teil zeigt sich der einzig große Wermutstropfen für Besucher, den sie beim Rundgang schlucken müssen: Sie werden kaum in den Genuss kommen, die vielen Texte zu lesen, denn der Besuch ist an eine Führung gekoppelt, die einen Alleingang nicht vorsieht. Doch die unterhaltsame Erzählweise Kühners tröstet darüber hinweg. Nach einem kleinen Bereich zum Thema Falschgeld, das in einer Regal-Vitrine aufgereiht liegt, beherbergt der anschließende, größte Raum als Mitte des Rundgangs wohl den Höhepunkt des Museums: berühmte Stuttgarter Kriminalfälle. Hier kommen freistehende, weiße Vitrinen zum Einsatz, in denen zum Beispiel die Hammer des „Hammermörders“ aus den 1980er-Jahren ausgestellt sind (der selbst ein Polizeibeamter war), oder via Lautsprecher den Funkverkehr einer Streife von vor 25 Jahren ertönen lassen, die kurze Zeit später Augenzeuge eines Schusswechsel auf der Gaisburger Brücke wird und den Tod von zwei Kollegen miterlebt. Erschütternd ist auch das Beton-Exponat, das den Rückenabdruck eines ermordeten und einbetonierten Abiturienten aus dem Jahr 2007 zeigt. Eine kühlblaue Grundfarbe steht dem teilweise sehr brutalen Inhalt in einer makabren Ambivalenz gegenüber.
Am anderen Ende des Raums, an einer bordeauxroten Wand, werden die unterschiedlichen, technischen Verfahren erläutert, die der Polizei in der Geschichte bis heute zur Aufklärung von Fällen helfen: Verbrecheralben, Daktyloskopie, DNA und das inzwischen sehr mittelalterlich wirkende Bertillon’sche Körpermessverfahren. In dem übergehenden, schmalen Flur befindet sich auf der einen Seite bis zum Boden verglast die Ausstellung von Uniformen – immer im Kontext der jeweiligen Zeitgeschichte: die zusätzliche Waffenhalterung durch die Geschehnisse der RAF, die zum Militär angepassten Uniformen aus der Zeit des Nationalsozialismus und die laut Kühner gefühlt zweiwöchige Einführung eines Polizei-Rocks für Frauen im Jahr 1990. Auf der anderen Seite gehen vom Flur noch zwei kleine Räume ab: Der eine ist eine Waffenkammer, in der auf den beiden langen Wänden in Vitrinen die Modelle aufgereiht positioniert und entsprechende technische Daten auf anthrazitfarbenem Grund aufgedruckt sind. Das wahrhaftig dunkelste Kapitel der Polizeigeschichte befindet sich jedoch in der anderen Kammer: die Polizei im Nationalsozialismus. Von den beiden Ausstellungsgestaltern Abele und Eberle ist der Raum absichtlich unangenehm konzipiert worden, denn um die Originaldokumente und Fotografien betrachten zu können, müssen sich die Besucher etwas bücken – die Informationen sind nach hinten versetzt, nur durch ein tiefes, scheibenlosen Fenster zu sehen. Einzelne Beamte wurden dabei herausgegriffen und eine Biografie gezeigt, die deren moralischen Abstieg von der Juden-Deportations-Organisation zu Massenmördern beweisen.

Werbung für das Museum musste der Verein kaum machen: Nach der Eröffnungsfeier mit dem Innenminister Gall als Schirmherr und der Berichterstattung in den lokalen Zeitungen kam das Museum bei der „Langen Nacht der Museen“ Anfang April 2016 erstmals an seine logistischen Grenzen: Sie seien regelrecht „überrannt worden“, so Kühner. Während sie im Normalbetrieb zwischen 30 und 50 Besucher einlassen würden, mussten sie das Museum in dieser Nacht für 210 Menschen gleichzeitig freigeben – was bei 2.000 Interessierten teilweise zwei Stunden Wartezeit ausmachte. Seitdem ist es auf Monate im Voraus ausgebucht. Für die terminliche Organisation wurde inzwischen sogar eine Museumsmanagerin angestellt.

Wir von PLOT haben die Führung sehr genießen können – nicht nur weil es Freude macht, mit Michael Kühner einen bemerkenswerten Geschichten-Erzähler zu erleben, sondern weil die Ausstellung ein schönes Beispiel dafür ist, wie mit kleinem Budget und großem Herzblut ein sehenswertes Projekt entstanden ist. Daher ist das Polizeimuseum Stuttgart nicht nur empfehlenswert für die Bewohner der schwäbischen Hauptstadt, sondern für jegliche Besucher, die einen unterhaltenden und informativen Blick hinter die geschichtsträchtigen Kulissen der Stuttgarter Polizeiarbeit haben möchten.

 

 

 

FACTS

Projekt:

Polizeimuseum Stuttgart, Stuttgart (DE)

Projektteam:

Lutz Eberle, UORG, Stuttgart (DE)
Bernhard Abele, Abele-Ausstellungsgestaltung, Stuttgart (DE) > www.abele-ausstellungsgestaltung.de

Standort:

Polizeipräsidium, Stuttgart (DE) > www.polizeimuseum-stuttgart.de

Zeitrahmen:

seit Februar 2015

Lichtplanung:

nimbus group, Stuttgart (DE) > www.nimbus-group.com

Auftraggeber:

Polizeihistorischer Verein Stuttgart e.V. (DE)

Fotos:

FRANK OCKERT PHOTOGRAPHY, Stuttgart (DE) > www.frankockert.com