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Film- & Bühnenarchitektur

Filmrezension „Anomalisa“

POSTED 23.06.2016
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PLOT war im Kino! Charlie Kaufman ist ein herausragender Drehbuchautor des amerikanischen Kinos und hat Filme wie „Being John Malkovich“, „Adaptation.“ und „Confessions of a Dangerous Mind“ geschrieben. Sein neuestes Projekt heißt „Anomalisa“ und ist ein anspruchsvoller Stop-Motion-Animations-Film für Erwachsene – ein sehr aufwändiger Film, der als Schlüsselwerk zum Thema „Midlife-Crisis“ zählen würde, wäre es kein Stop-Motion-Film, der meist nur von Liebhabern dieses Genres gewürdigt wird. Ohne uns weiter Gedanken zu machen, was uns erwartet, betreten wir das Kino, kaufen ein Ticket und nehmen Platz in Charlie Kaufmans Kopf, um durch die Augen der Kinoleinwand in seine Welt zu schauen, die unermesslich tief in die unsere zurückblickt.

von Alexander Bischoff

Ein graumelierter Herr Mustermann mit Brille und leichtem Bauchansatz, nicht dumm, aber auch keine blendende Leuchte, landet in Cincinnati, Ohio. Sein Name ist Michael, er ist Autor für Kundenservice-Management-Ratgeber und gerade auf Vortragsreise zu seinem neuesten Buch. Michael ist die Langeweile, der Frust und die Einsamkeit anzusehen. Um ihn herum sprechen alle Menschen nur noch mit der gleichen monotonen Stimme, alle wollen sich mitteilen, machen und tun und geben sich dabei mal mehr, mal weniger Mühe. Das alles scheint ihn allerdings gar nicht zu berühren: Wie ein Schlafwandler betrachtet er die Menschen und die Räume. Er beobachtet einen Büroangestellten, der im Gebäude gegenüber seines Hotelzimmers trist vor seinem Rechner onaniert. Als dieser aufblickt, versteckt er sich hinter dem Vorhang. Michael telefoniert mit seiner Lebenspartnerin, trinkt Alkohol und bestellt Essen. Langsam bemerkt das Publikum, dass alle Menschen um Michael herum ein ähnliches Gesicht haben: Frauen wie Männer. Alle Menschen in dieser Welt tragen dasselbe Gesicht und sprechen mit derselben Stimme!
Irgendetwas beschäftigt Michael: Er wählt eine Nummer, erreicht eine Ex-Freundin, die er einmal in Cincinnati hatte, und die er damals Hals über Kopf verließ, ohne sich je wieder bei ihr zu melden. Die beiden treffen sich in der Hotelbar. Auch diese Frau spricht mit der gleichen Männer-Stimme wie alle anderen auch. Sie ist sichtlich überfordert, leidet noch immer unter den Folgen der Trennung, hat starke Minderwertigkeitskomplexe und ist emotional instabil. Michael spricht von seinem Lebensfrust, seiner Enttäuschung und Einsamkeit in seinem scheinbar glücklichen Familienleben. Die Situation zwischen den beiden eskaliert und sie trennen sich unglücklich.

Unvermittelt vernimmt Michael eine Stimme, die anders klingt als die fortwährend gleiche, die ihn umgibt. Er folgt dieser und trifft auf die junge, unscheinbare aber lebensfrohe Lisa, die mit einer befreundeten Kollegin für Michaels Vortrag am nächsten Tag angereist ist. Lisa spricht mit einer persönlichen, weiblichen Stimme voller eigensinniger Lebendigkeit. Sie hat eine farbige Haarsträhne, hinter der sie eine Narbe versteckt. Sie ist audio-visuell anders als alle anderen. Michael lädt die Frauen an die Bar ein und sie haben einen netten Abend. Es scheint für Lisa ein gewohnter Ablauf zu sein, an dessen Ende sie ihre Freundin mit dem Mann gehen lässt. Dementsprechend kann sie es nicht glauben, als Michael mit ihr in seinem Zimmer noch ein Getränk nehmen möchte. Lisa ist vorsichtig, sie wurde verletzt und ist verunsichert. Michael erobert sie mit seiner leidenschaftlichen Faszination und der Film zeigt eine der schönsten und sensibelsten Sex-Szenen, die je im Kino gesehen werden durften.

Michael ist euphorisch: Er will sein altes Leben abstreifen und mit Lisa, die er Anomalisa nennt, ein neues, lebendiges Leben beginnen. Lisa lässt sich auf diesen Vorschlag ein, doch Michaels Frühlingserwachen wird erschüttert, als er bemerkt, dass Lisas Stimme beim Frühstück plötzlich von der allgemeinen monotonen Stimme überlagert wird. Lisas Zauber verfliegt und sie droht zu einem weiteren Teil seiner trostlosen Welt zu werden. So wird Michael von seiner Realität eingeholt – der Schleier der Maya reißt.

„Anomalisa“ ist keine Komödie und keine leichte Kino-Kost. Dieser Film berührt und verzaubert durch seinen intimen Ton, den die hervorragende Animationstechnik fein unterstreicht. Die Szenografie dieses Films steht unter dem Zeichen liebevoller Beobachtung von Nüchternheit und Alptraum. Intimität, Zerbrechlichkeit und Lächerlichkeit werden zu einem bedrückend schönen Portrait eines Gefangenen ohne Eigenschaften zusammengefügt. Michael erkennt, dass er dieses Gefängnis, diese Welt, um sich selbst kreiert, sie zu dem macht, was sie ist. Durch Lisa konnte er dies für einen Moment erfahren. Das hinterlässt etwas Hoffnung in der Trostlosigkeit und unterstreicht den Wert sowie das Bestehen dieser unglaublichen Last eines Lebens unter freiem Willen.

 

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Anomalisa

 

FACTS

Titel:

Anomalisa

DVD-Start:

02.06.2016

Regie:

Duke Johnson, Charlie Kaufman

Drehbuch:

Charlie Kaufman

Szenenbild:

John Joyce, Huy Vu

Kamera:

Joe Passarelli

Fotos:

Paramount Pictures >www.paramount.com

Links: