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Film- & Bühnenarchitektur

Filmrezension „Men & Chicken“

POSTED 24.09.2015
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PLOT war im Kino! Nach „Adams Äpfel“ läuft nun der neue Film des dänischen Drehbuchautoren und Regisseurs Anders Thomas Jensen. Dabei führt diese groteske Komödie das Publikum in ästhetische und menschliche Grenzregionen und der schöne Mads Mikkelsen beweist Mut zum Ekligen und Groben. Im Kinosaal wurde viel gelacht und noch mehr Lacher wurden angesichts eines unsagbaren Familiengeheimnisses im Keim erstickt. „Men & Chicken“ ist eine abstoßende Liebeserklärung an die Familie und eine Aufklärung darüber, wie weit wir Menschen bereit sind, für diese Utopie zu gehen.

von Alexander Bischoff

Gabriel und Elias sind hässliche, verunstaltete und schwierige Menschen – zumindest zeigen dies die ersten Filmminuten eindrücklich und mit bitterbösem Humor unterlegt. Der Vater der Brüder stirbt und hinterlässt ihnen eine ungeschickte Videoaufzeichnung, auf der er ihnen offenbart, dass sie Halbbrüder sind, von ihm adoptiert wurden und ihr biologischer Vater – ein Doktor – sie mit unterschiedlichen Frauen gezeugt hat. Und so machen sich die Brüder auf die Suche nach ihren leiblichen Eltern.
Eine Spur führt sie auf die aussterbende Insel Ork, wo ihr alter Vater in einem verfallenen Sanatorium hausen soll. Hier prallen sie auf drei missgebildete Männer, die ebenfalls Hasenscharten-Narben und ähnlich verschrobene Persönlichkeiten haben wie Gabriel und Elias. Das Sanatorium ist in einem maroden Zustand und bildet die Spielfläche für eine der skurrilsten Männer-WGs des Kinos. Die Szenen zwischen den fünf Brüdern sind überzeichnete Studien menschlichen Verhaltens und ergründen deren archaischen Versuche, sich eine funktionierende Gesellschaft und eine Familie fern von den Menschen in dem alten Sanatorium zu errichten. Dabei wird alles vom Vater überschattet, der in der oberen Etage ruht und vom älteren Bruder mit brutaler Hand vertreten wird. Seine autoritäre Herrschaft, die den jüngeren Geschwistern genügend Freiraum für die eigenen Absonderlichkeiten lässt, wird von Gabriel jedoch in Frage gestellt. Elias beginnt, sich mit seinen neuen Brüdern gegen Gabriels Wissensdrang und Neugierde zu stellen – die Konflikte sind vorgezeichnet.
Mehr möchten wir über den Verlauf der Handlung allerdings nicht verraten! Für „Men & Chicken“ sollten Sie sich die Zeit vor der Kinoleinwand nehmen, denn diese Groteske hat es wirklich in sich.

Für die szenografisch denkende Sitzreihe im Kinosaal ist der Film dabei eine Ausstattungs-Augenweide. Überzeichnet und skurril, aber niemals dominant, ist das Szenenbild so stark, dass die Räume sensorisch und haptisch spürbar werden. Selten konnten Zuschauer im Kino die Szenenbilder beinahe riechen und schmecken: Wandschimmel, Käsekeller, Stallgeruch, alte Rosshaar-Matratzen, Rost und Metall, Alkohol und Formalin, der Moder alter Bücher und ungewaschene Männerkörper. Neben den Menschen existiert im Sanatorium zudem allerlei Getier: Hühner und Gänse bewegen sich frei durch die Gänge. Ein riesiger Zuchtochse, dessen hochgelobte Spermien weltweit gefragt sind, steht wie ein fleischgewordenes Götzenbild in einer Stallung. Die Räume sind Biotope: In ihnen lebt es. Das Sanatorium auf der verlassenen Insel, die Stück für Stück von der Natur zurück erobert wird, ist dabei ein Bild für das Leben und seinen Zerfall. Der Mensch baut darin seine kleinen Bastionen, deren Zeit beschränkt ist. Es ist der Ort der Familie und zugleich auch eine Kommune der Menschen und der Tiere. Die Brüder haben hier ein Refugium, das sie beschützen, denn sie wissen, dass die Welt jenseits der Insel keinen besseren Platz für sie zu bieten hat. Gabriel begreift das kurz vor der Katastrophe, die er durch sein Handeln auslöst.

In „Men & Chicken“ wird die Szenografie zum Sprachrohr der Utopie – ganz genau so wie es dem Regisseur und seinem Team auch schon mit „Adams Äpfel“ eindrücklich gelungen ist. „Men & Chicken“ ist weniger episch, weist weniger Pop und Design auf, ist aber mindestens so brutal und ehrlich wie „Fight Club“, wenn es im Kino um die Formulierung eines alternativen Lebens- und Gesellschaftsentwurfs geht. In der Abhandlung „Über die ästhetische Erziehung des Menschen“ schreibt Schiller, dass sich das Leben in seiner primitiven Form von selbst lebt. Bis der geistige, der vernünftige Mensch erwacht, und Wille geboren wird, der zu so viel mehr bereit und fähig ist, als wir uns im Alltag eingestehen. „Men & Chicken“ erinnert uns eindrücklich daran.

 

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Men & Chicken

 

FACTS

Titel:

Men & Chicken (Originaltitel: „Mænd & Høns“)

Kinostart:

02.07.2015

Regie:

Anders Thomas Jensen

Drehbuch:

Anders Thomas Jensen

Szenenbild:

Mia Stensgaard

Kamera:

Sebastian Blenkov

Fotos:

Rolf Konow, M&M Production > www.mmproductions.dk

Links: