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Film- & Bühnenarchitektur

Filmrezension „Mr. Turner – Meister des Lichts“

POSTED 16.07.2015
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PLOT war im (Heim-)Kino! Bereits 2014 drehte Mike Leigh einen Historienfilm über den berühmten englischen Maler Joseph Mallord William Turner, der weltweit sehr positiv aufgenommen und in mehreren Sparten für den Oscar nominiert wurde. Nun ist diese bildgewaltige und schauspielerisch anspruchsvolle Künstlerbiografie auf DVD und Blu-ray erhältlich. Wie ein gemütlicher Filmabend zu einem tiefgreifenden Erlebnis wurde …

von Alexander Bischoff

Mike Leigh macht Filme über Menschen: Menschen, die leiden, lachen, lieben und vergehen werden. In „Mr. Turner – Meister des Lichts“ begleiten wir den wohl berühmtesten Maler Englands, den heute wie damals nur wenige Menschen wirklich kennen. Nach wenigen Minuten wird dem Zuschauer allerdings klar, dass es in diesem Film um mehr geht, als schöne Bilder und spannende Handlungen aus der Lebensgeschichte eines Maler-Genies. Vielmehr gelingt es dem Darsteller Timothy Spall in den ersten Minuten nur durch seine Körpersprache, den erstklassig ausgestatteten und gefilmten Historienfilm auf eine viel faszinierendere Ebene zu heben. Der hier gezeigte Mr. Turner, ist nach außen ein grober, mürrischer, stampfender und malender Eber. Das Gesicht des Protagonisten wirkt streng und angewidert, zuweilen verbissen und misstrauisch. Der sensible Zuschauer kann nicht anders, als dieser an Bildhauerei erinnernden Menschenstudie fasziniert zu folgen. Nebenbei erfährt er allerlei Hintergrundwissen über diesen zwiespältigen Aufsteiger im London des 19. Jahrhunderts. Sehr ergreifend wird hier die Beziehung des Künstlers zu seinem Vater und dessen Tod beschrieben. So sehen wir in „Mr. Turner“ den Prototypen des modernen Künstlers, der immer auch um seine Außenwirkung, seine Kontakte und gesellschaftliche Stellung weiß. Doch das interessiert Mike Leigh und sein Ensemble nicht vorrangig. Sie wollen mit dem Zuschauer vielmehr einen Spaziergang in die tiefen, emotionalen Kellergewölbe und Nischen der „Conditio humana“ machen. Und so wird die Künstlerbiografie auch zur dunklen Fahrt durch eine exemplarische menschliche Existenz, die von Leiden und Freuden, von Willen und Entscheidungen geprägt wurde.

Turners Gesicht ist dabei der hypnotische Schlüssel, der den Zuschauer immer tiefer in diesen widersprüchlichen Charakter zieht, bis sich am Ende hinter dem Gebilde aus Fleisch, Fett und Hässlichkeit ein feiner und verwundbarer Geist erahnen lässt. „Mr. Turner“ zeigt einerseits den hohen, elitären Menschen, der sich die Welt denkt, aber in seiner Eitelkeit und seinem Formen-Repertoire zu ersticken droht, und andererseits den einfachen Menschen, der die Natur kennt und Wärme und Nähe bevorzugt. Dem Künstler Turner gelang in seinem Leben der Spagat zwischen Hochkultur und dem einfachen Leben, in dem er sich immer wieder in die Anonymität der Landschaft und des einfachen Volkes zurückzog.

Selten darf man ein so bescheidenes und tief ergreifendes Schauspiel beobachten. Die Nahaufnahmen des Ensembles sind durchweg stark und berührend. Doch wie es Timothy Spall gelingt, in seinem Gesicht die Gefühlsausbrüche eines strengen, misstrauischen Mannes wie Massenkarambolagen und Wetterumschwünge zauberhaft explodieren zu lassen, ist wahrhaft meisterlich. Turner zeigt immer wieder Härte und Fassung und doch scheitern seine Versuche, unangenehme Gefühle wie zähen Rotz hochzuziehen und zurückzuhalten, kläglich: Wir dürfen hinter die Fassaden eines Menschen blicken. Sehr intelligent zitiert der Film romantische Bildsprache, in dem er den Maler durch die gigantische Landschaft Hollands oder Englands stampfen lässt und den Menschen als das einsame, entfesselte Wesen in der Natur zeigt. Jene wird durch die herannahende Moderne kontrastiert: Die Lokomotive durchschneidet und verraucht die Landschaft und macht sie zum Hintergrund. Sind im romantischen Blick die Wolkenberge und Meeresweiten über und hinter Menschenminiaturen und Ruinen maßstabbildend, so wird der moderne Blick im Film durch das Objektiv der Fotokamera repräsentiert, durch den die Landschaft und damit die Welt schrumpfen wird. Dieser kernige Turner dokumentiert und stellt sich diesen neuen Technologien immer mit einer standhaften Grimmigkeit, die eine kindliche Faszination durchschimmern lässt.

„Mr. Turner“ hat auch für die szenografische Sitzreihe reizvolle Aspekte zu bieten: Zum einen zeigt der Film, wie gekonnt Turner die Raumdramaturgie für den Verkauf seiner Bilder nutzte. In einer Szene wird gezeigt, wie potentielle Kunden in einen verdunkelten, nur mit Kerzenlicht versehenen Vorraum geführt werden, um dort kurz zu verweilen. Der Vater des Künstlers betritt nach einiger Zeit wieder den Raum und öffnet erst dann eine Türe in den von der Decke beleuchteten Galerieraum. (Turner war der erste Künstler Englands, der sich nach eigenen Entwürfen Verkaufsräume an sein Atelier-Haus hat anbauen lassen.) Und dann wären da noch die Szenen in der Ausstellung der Royal Academy, deren Planung und Realisierung sehr aufwändig waren. Das Bonusmaterial zeigt, wie die Szenenbildnerin Suzie Davies die Ausstellung der Royal Academy nach Wünschen des Regisseurs in echten Räumen (nicht im Studio) und nach historischen Quellen liebevoll mit ihrem Team rekonstruierte. Hier wird wieder einmal deutlich, wie wertvoll Bonusmaterial zu Filmen sein kann: Der Zuschauer bekommt einen Einblick in professionelle Arbeitsprozesse und filmische Problemstellungen, die ihm sonst nicht zugänglich wären.

„Mr. Turner“ ist ein Film für Menschen, die den Menschen lieben und hassen, die über sich und die Welt lachen und weinen können. „Mr. Turner“ ist auch ein Film über die Kunst und die Gesellschaft. Noch mehr aber ist es ein Film über dieses grobe, harte und widersprüchliche Leben, das manchmal einfach gerne malt und uns Bilder schenkt. Joseph Mallord William Turner hat dem englischen Staat 20.000 Bilder vermacht, die er einfach hätte verkaufen können. Mut zum Künstler-Mythos oder schlicht eine freundliche Geste? Wir werden es nie erfahren. Was uns bleibt, sind die Bilder.

 

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FACTS

Titel:

MR. TURNER – MEISTER DES LICHTS

DVD-Start:

28.04.2015

Regie:

Mike Leigh

Drehbuch:

Mike Leigh

Kamera:

Dick Pope

Szenenbild:

Suzie Davies

Fotos:

PROKINO > www.prokino.de

Links: